Magazin Visionen - Einfach. Besser. Leben.

Hilfe für Gewohnheitstiere

Abnehmen ist für viele der Neujahrsvorsatz Nr. 1. Ist binnen 72 Stunden kein noch so kleiner Praxis-Schritt erfolgt, siegt nachweislich erneut das Gewohnheitstier in uns. Außer, man lockt es mit einer ganz besonderen Art von Diät...

DIE DSD-METHODE. Professor Ben Fletcher von der University of Hertforshire (GB) hat eine Leidenschaft für ungewöhnliche psychologische Forschungen mit hohem Alltagsnutzwert. Schon bei früheren Untersuchungen zum Thema Stress am Arbeitsplatz war ihm aufgefallen, dass davon vor allem Gewohnheitstiere betroffen sind – Mitarbeiter, die sich nur schwer auf neue Situationen einstellen können. Fletcher erkannte, dass auch sehr viele weitere Lebensprobleme darin wurzeln, dass Menschen regelrecht mit ihren Gewohnheiten verwachsen sind. Was wäre, wenn man sie dazu bewegen könnte, sich einfach anders zu verhalten – so, als ob sie keine Gewohnheitstiere mehr wären? Um dieser Frage nachzugehen, entwickelte Fletcher zusammen mit seiner Kollegin Karen Pine die DSD-Methode: „Do something Different“ („Mach’ was anders“). Auf Deutsch gesagt könnte sie auch „Die Schweinehund-Diät“ heißen, denn sie trainiert Gewohnheitstiere mit Hilfe leichter Übungen dazu, ungewohnte Dinge zu tun oder vertraute Dinge auf ungewohnte Art. Die positiven Auswirkungen dieser verblüffend einfachen Technik auf die verschiedensten Lebensbereiche wurden von dem Forscher-Duo über Jahre hinweg dokumentiert. (Vgl. „The NO Diet Diet“, 2006; „Flex: Do Something Different“, 2012.)

LEICHTER WERDEN NEBENBEI. Zu mehreren Untersuchungsreihen luden Fletcher und Pine auch abnehmwillige Versuchspersonen ein und verteilten sie nach dem Zufallsprinzip auf verschiedene Gruppen. Eine Gruppe wurde  aufgefordert, einen Monat lang DSD-Techniken anzuwenden. Diesen Probanden wurden keinerlei Hinweise zum Thema Essen erteilt, wie etwa: „Ernähren Sie sich gesünder“ oder „Bewegen Sie sich mehr“. Sie sollten lediglich eingefleischte Handlungsabläufe variieren: „Gehen Sie eine Stunde eher schlafen“ oder „Lassen Sie einen Tag Ihr Handy oder Fernsehgerät aus“. Vergleichsgruppen bekamen gar keine Vorgaben oder durften sich selber eine Diät aussuchen. Nach etlichen Monaten der Beobachtung stellte sich heraus, dass allein schon die DSDMethode Menschen dabei hilft, an Gewicht zu verlieren, ganz ohne Diät. Weitere, ähnlich gelagerte Forschungsarbeiten wiesen den gleichen Nutzen für entwöhnungswillige Raucher oder Arbeitssuchende nach.

KEINE HEXEREI... Wie sind diese Ergebnisse zu erklären? Wer dazu ermutigt wird, erstarrte Verhaltensmuster zu durchbrechen, beginnt sich selbst mit völlig neuen Augen zu betrachten. Auf einmal ist er nicht mehr jemand, der laufend nur alte Programme abspult, sondern nimmt sich als Person wahr, die fähig ist, sich problemlos an veränderte Umstände anzupassen und schließlich sogar eigene neue Lebensziele anzustreben. Diese Verbesserungen erscheinen fast wie Zauberei. Tatsächlich sind sie beredte Beispiele für die Wirksamkeit des so genannten Als-ob-Prinzips. Es geht auf den amerikanischen Philosophen und Gründervater der modernen Psychologie William James (1842- 1910) zurück, der es auf die Formel brachte: „Wünschst du dir eine bestimmte Eigenschaft, dann handle so, als ob du sie schon hättest.“ Dieser simple, aber äußerst effektive Weg ist mittlerweile wissenschaftlich von den verschiedensten Seiten belegt.

Seine Variante „Tu ’was anderes“ hat sich vor allem bei der so genannten Problemtrance bewährt: „Wenn etwas nicht klappt, so hat «man» uns gelehrt, müssen wir mehr tun: mehr üben, mehr üben, mehr üben. Und wenn es dann immer  noch nicht funktioniert? Dann wäre vielleicht jetzt ein günstiger Zeitpunkt, etwas ganz anderes zu tun.“ Etwa ein Eis essen, statt weiter zu ackern. „Sie wären dann dabei, Ihr eigenes (Verhaltens-)Muster zu durchbrechen...“ (J. Hargens)

GEWOHNHEITEN KNACKEN. Ben Fletcher und Karen Pine haben zahlreiche Übungsmöglichkeiten entwickelt, um Gewohnheitstiere in die Hufe zu bringen und für das zu öffnen, was der Dalai Lama mit Bezug auf die Meditationspraxis „Geschmeidigkeit“ nennt: „eine körperliche und geistige Formbarkeit aufgrund der Tatsache, dass unsere natürliche Trägheit abgebaut wird“.

Übungsbeispiele. Die folgenden Vorschläge gehen auf den DSDAnsatz von Fletcher und Pine zurück oder sind davon inspiriert.

Hören Sie eine andere Art von Musik als sonst oder schauen Sie
ein anderes Fernsehprogramm.

  • Lesen Sie eine andere Zeitung/ Zeitschrift. Beginnen Sie mit dem letzten Artikel und hören Sie mit dem ersten auf. Stellen Sie die Seiten beim Lesen auf den Kopf. Tragen Sie Kreuzworträtsel-Lösungen von hinten nach vorne ein.

  • Nehmen Sie einen anderen Weg zur Arbeit. Wechseln Sie das Transportmittel bzw. laufen Sie (eine Teilstrecke) zu Fuß. GehenSie dabei ein kurzes Stück rückwärts.

  • Besuchen Sie erstmals oder wieder (einmal) ein Museum odereine kulturelle Veranstaltung.

  • Kaufen Sie in einem unbekannten Laden ein. Wählen Sie einungewohntes Produkt, eine andere Marke oder Geschmacksrichtung.

  • Benutzen Sie für leichte Tätigkeiten Ihre „andere“, nicht-dominante Hand: für kurze Notizen (Einkaufsliste), zum Tür-Öffnen usf.

  • Tragen Sie verschiedene Socken (der gleichen Farbe). Steigen Sie mit dem jeweils „anderen“ Bein zuerst in die Hosen. Setzen Sie Ihren „ungeläufigen“ Fuß auf die erste Treppenstufe.

  • Verlegen Sie Ihre Aufsteh- und/ oder Schlafenszeit um eine Stunde. Schlafen Sie mit dem Kopf am Fußende.

  • Duschen Sie mit geschlossenen Augen. Putzen Sie sich die Zähne nach Storchen-Art: auf einem Bein balancierend.

Wirkungen. Wenn Sie auch nur eine dieser Übungen eine Zeitlang regelmäßig ausführen oder jeden Tag Ihr übliches Verhalten ein kleines bisschen variieren, qualifizieren Sie sich damit selbst als jemand, der auch zu anderen, weit größeren Veränderungen fähig ist, seien sie notwendig oder „nur“ wünschenswert, wie zum Beispiel eine Gewichtsreduktion. Erfinden Sie selbst kleine Übungen, die Sie in Ihre alltäglichen Abläufe einbauen. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf einmal deutlich besser gelaunt sind oder sich wieder so unbeschwert fühlen wie als Kind, denn auch damals haben Sie Tag für Tag etwas Ungewohntes getan. Unser Gehirn liebt frische Aufgaben und Herausforderungen und belohnt uns mit Wohlfühlhormonen, wenn wir mit ihm zusammenspielen.

DSD RUND UMS ESSEN. Da wir mehrmals täglich essen müssen/ dürfen, eignen sich Zubereitung und Einnahme der Mahlzeiten besonders gut als Experimentierfelder für Neues.

  • Probieren Sie ein neues Gericht (aus einem anderen Land/ Kulturkreis). Legen Sie einen Veggie-Tag pro Woche ein. Verwenden Sie andere Gewürze.

  • Tauschen Sie am Familientisch die Plätze. Essen Sie von bunt zusammen gewürfeltem Geschirr oder mit Messer und Löffel bzw. Kuchengabel. Kauen Sie mit geschlossenen Augen.

  • Rühren Sie Speisen und Getränke in die andere Richtung um.Schnuppern Sie an jedem Lebensmittel, das Sie verspeisen oderverarbeiten wollen.

  •  Vertauschen Sie gewohnte Zutaten mit ähnlichen (gesünderen/veganen), etwa: Nuss-Nougat-Creme mit Nussbutter plus Honig, Melasse, Agavendicksaft // Butter/ Margarine mit (streichfestem) Kokosöl // Getreide- mit Lupinenkaffee // Tütensuppen/-soßen mit diversen Gemüsesaftsorten (kurz aufkochen, mit pflanzlichem Bindemittel andicken) // Nudelkochwasser mit verdünntem Gemüsesaft // übliche Marmeladen- (oder Gelee-) Sorten mit selbst gemachten Kreationen aus Bananen (Saft von2 Zitronen zugeben) oder (dem Saft von) Äpfeln, Birnen, Trauben,Mandarinen oder Tomaten, Kürbis, Karotten.

Literatur: J. Hargens, Bitte nicht helfen! Carl-Auer 2013 // Dalai Lama, Von hier zur Erleuchtung, Scorpio 2013.

Richard Wiseman: Machen, nicht denken!
Die radikal einfache Idee, die Ihr Leben verändert.
Fischer Taschenbuch, 2013.

Doris Radke

Visionen Newsletter abonnieren

Herzlich willkommen bei VISIONEN!

Bewusst & nachhaltig gelebtes Leben im Hier und Jetzt liegt uns am Herzen, das möchten wir mit Dir teilen.

Als Dankeschön für Dein Interesse an unserem Newsletter schenken wir Dir € 5.- im visionen-shop

€ 5,-
Gutschein

nach oben