Magazin Visionen - Einfach. Besser. Leben.

Was wünscht sich der Mensch mehr als ein gutes Leben in Frieden und Harmonie mit Anderen? Der spirituelle Meister Sant Kirpal Singh teilte zeitlebens seine Vision der einen Menschheit.

Mein Leben war immer in den einen Gedanken verwoben, dass es keinen Osten und keinen Westen gibt. Die ganze Schöpfung ist das Haus Gottes, unseres Schöpfers und Vaters, und die verschiedenen Länder sind die Räume darin. Flugzeuge und die moderne Technik haben jede Entfernung aufgehoben und machen deutlich, dass der sogenannte Osten oder Westen Brüder und Kinder desselben göttlichen Vaters sind. Wir Menschen sind Glieder einer einzigen Weltbruderschaft, einer einzigen kosmischen Gemeinschaft.

Einheit der Schöpfung

Die Schöpfung ist eine Manifestation des göttlichen Wortes oder Logos: „Alles ist durch es geworden, und ohne es ist nichts geworden, was geworden ist“, heißt es am Anfang des Johannes-Evangeliums. Daher ist die gesamte Schöpfung der Tempel Gottes. Es gibt keinen Ort, wo Er nicht ist. In den Mineralien schläft das Leben, in den Pflanzen träumt es, in den Vögeln und allem Getier erwacht es, und im Menschen ist es wach. So sind wir Brüder und Schwestern aller Geschöpfe, der Pflanzen, Vögel und anderen Tiere. Die Blumen und Bäume, Spatzen und Tauben sind wie Glieder unserer eigenen Art. Wie schön und einfach, rein und liebevoll sie doch sind! Wir sollten von ihnen lernen, ein reines Leben in Einfachheit und göttlicher Liebe zu führen. Die Schöpfung ist eine Familie in Gott. Alle Erleuchteten und Heiligen hatten die Vision der kosmischen Einheit und liebten die Natur. „Die ganze Schöpfung ist Sein Haus; Gott wohnt darin“, sagte der große Sikh-Heilige Nanak. Und die Seher der Veden sangen: „Alles, was ist, ist ein Kleid des Herrn.“ – Die Natur ist wunderschön, sofern der Mensch sie nicht entstellt.

Die gesamte Schöpfung wird von Gott erhalten, der „doch nicht fern von einem jeden von uns ist“, sondern näher als irgendetwas sonst. „Denn in ihm leben, weben und sind wir“ (Apg. 17,27-28). Der ewige Logos, der Geist Gottes, wohnt allen Formen inne. Wir sind alle Geschwister in Gott und Weltbruderschaft ist das Gebot der Stunde. Wahre Religion besteht nicht in Riten und Zeremonien. Sie ist Leben. Sie ist das Einswerden der Seele mit dem großen Leben. Lasst uns darauf achten, dass wir Religion nicht mit Konfessionen und Traditionen verwechseln. Wahre Religion ist Ausdruck der jedem Menschen innewohnenden Gottheit. Wir sollten Gott, der das ganze Universum durchdringt, in uns selbst erkennen. Dann werden wir verstehen, dass das Sichtbare vergänglich, das Unsichtbare aber ewig ist; und das ist die Einheit, die allen Religionen zugrunde liegt.

Nur eine Wahrheit, nicht viele

Es gibt eine Religion, die über allen Religionen mit ihren Dogmen, Lehrmeinungen und Ritualen steht: die Wahrheit. Alle Meister, die von Zeit zu Zeit gekommen sind, sprechen von derselben Wahrheit. Wir lieben die Wahrheit, und das ist die wahre Religion, auf deren Grundlage die ganze Welt – Ost und West – sich um einen Tisch versammeln könnte. Die Propheten und spirituellen Meister kommen nicht mit dem Auftrag, eine neue Religion zu gründen. Die Religion, die sie lehren, ist das Wissen um das Selbst, um das Eine hinter dem Vielen, das man finden kann, indem man „innen anklopft“, sich einwärts wendet und das große Buch seiner selbst studiert, in welchem sich Gott enthüllt – das Buch der Bücher, die Bibel aller Bibeln, die den Schlüssel zum Mysterium des Lebens birgt.

Wir sind Wahrheitssucher, und aus diesem Grund sind wir verschiedenen Religionsgemeinschaften, also geistigen Schulen, beigetreten. Die Wahrheit kann aber nicht als Monopol eines bestimmten Glaubens, Zeitalters oder geographischen Ortes beansprucht werden; sie ist das Geburtsrecht des Menschen. Genauso wie es allen Menschen gegeben ist, Luft zu atmen und Sonnenstrahlen aufzunehmen, steht es auch jedem Einzelnen zu, aus dem nie versiegenden, unsichtbaren Lebensquell in seinem Innern Kraft und Weisheit zu schöpfen. Mit Hilfe eines dafür kompetenten Menschen – man mag ihn nennen, wie man will – kann jeder, ungeachtet seiner Religionszugehörigkeit, diese innere Quelle finden. Der Weg zur Wahrheit ist einfach. Er besteht darin, sich selbst zu erkennen, um Gott zu erkennen. Die einzigen Voraussetzungen dazu sind Meditation, ein ethisch reines Leben und selbstloser Dienst am Nächsten. Es ist nicht nötig, dass man aufhört, ein Christ, Hindu, Sikh, Muslim oder Buddhist zu sein; es geht darum, wirklich Jesus Christus, Lord Krishna, Guru Nanak, dem Propheten Mohammed oder Gautama Buddha nachzufolgen, indem man das tut, was sie sagten. In jeder Rasse und jeder Religion, in jedem Propheten und Heiligen, in jeder heiligen Hymne und Schrift ist der leuchtende Eine offenbart. Wer nicht mehr im Kerker des „Ich und Mein“ gefangen und über das Ego hinaus geschritten ist, hat Vollkommenheit erlangt und kennt keinen Unterschied mehr zwischen Hindus, Muslimen, Sikhs, Juden, Christen und Buddhisten. Denn Gott ist der Herr aller Menschen, und in allen Menschen leuchtet das eine göttliche Ebenbild. Wir alle verehren den einen Herrn. Dieser Eine ist in dir und um dich herum, in mir, im anderen und überall. Dieser Eine allein ist es, der aus Allem spricht.

Der Weg der Liebe

Wir sollten alle lieben, auch die Sünder und Verbrecher. Statt den ganzen Baum abzuschlagen (und den ganzen Menschen zu verdammen), sollten wir ihm die Möglichkeit zu neuem Wachstum geben. Wir atmen schließlich alle die gleiche Luft, trinken das gleiche Wasser, wärmen uns an derselben Sonne und leben auf derselben Mutter Erde. Wer Gott liebt, sollte auch all Seine Geschöpfe lieben, denn Er wohnt allen Formen inne. Bäche können Bände sprechen und Steine predigen. Wir sollten in Gemeinschaft mit allem Geschaffenen leben, in Gemeinschaft mit allem was lebt. Wir brauchen eine lebendige Religion, die sich im Leben und Tun der Menschen widerspiegelt und nichts vom Leben Getrenntes ist. Das Wissen des Herzens ist mehr als Buchgelehrsamkeit. Den Inbegriff allen Lebens hat Nanak in den schönen Versen beschrieben: „Liebe ist die Wurzel, und Liebe ist die Frucht des Lebensbaumes. O Mensch, liebe Gott so wie der Fisch das Wasser!“ Je mehr Wasser, desto mehr freut sich der Fisch, denn ohne Wasser kann er nicht leben. Gott weiß um seinen Kummer: „Möge ich ein Fisch sein und im Wasser leben!“

Das Eine Licht

Die ganze Menschheit ist eins, und eines jeden Menschen Seele ist ein Tropfen aus dem Meer des Allbewusstseins. Wir sind alle Brüder und Schwestern in Gott; über alle von uns wacht dieselbe kontrollierende Kraft. Die Vision der spirituellen Einheit der Menschen war allen Erleuchteten der Vergangenheit bekannt, und sie haben sie gelehrt und vermittelt. Doch über der Geschäftigkeit des heutigen Lebens gerät sie leicht in Vergessenheit. Wir sollten diese Vision des Einen Lichts in allen Religionen und Nationen wecken, denn sie ist das einzige Heilmittel gegen alles Übel, das die Welt gegenwärtig bedrängt. Lassen wir das kleine Licht der Spiritualität in aller Herzen leuchten, und es wird in allen Herzen, im Westen wie im Osten, wahre Liebe entfachen.

Die Einheitsschau

Wer sich auf dem Weg zu Gott entwickeln will, sollte weitherzig und nicht intolerant sein und sich durch die Kraft der inneren Stille über kleinliche Erwägungen erheben – zu den Höhen des Lebens, wo er den Herrn schaut, der in allen gleichermaßen wirkt, in Heiligen und Sündern, in allen Menschen und der ganzen Schöpfung, in allen Religionen, heiligen Schriften und Propheten. In der Stille leuchtet das Herz; ein Schleier nach dem anderen fällt. Im Herzen scheint das Licht, die Stille beginnt zu tönen und lässt die „Musik der Sphären“ hörbar werden, die in der ganzen Schöpfung erklingt. Wer das Licht im eigenen Herzen hat leuchten sehen und die Musik der Sphären vernommen hat, erblickt das Licht in allem, was außerhalb von ihm ist; er sieht das Eine Licht in allen. Dies ist die universale Vision, die zeigt, dass der Eine in Allem und Alles in dem Einen ist.

Ein solchermaßen erleuchteter Mensch weilt, wo immer er ist, im Ewigen Einen. Er ist gesegnet, weil er keiner bestimmten Rasse, keinem bestimmten Stand oder Glauben mehr angehört, sondern alle Rassen, Stände und Glaubensrichtungen in sich schließt. Diesen Zustand beschreibt der große Mystiker Maulana Rumi in einem Gedicht: Weder Christ noch Jude bin ich, auch Parse und Muslim nicht: Nicht von Osten, nicht von Westen, nicht vom Festland, nicht vom Meer, nicht stamm‘ ich vom Schoß der Erde und nicht aus Himmels Licht. Nicht aus Staube, nicht aus Wasser, nicht aus Feuer, nicht aus Wind, nicht vom Throne, nicht von der Gosse und auch aus Seien und Werden nicht. Nicht vom Diesseits, nicht vom Jenseits, nicht von Eden, nicht von der Hölle, nicht von Adam, nicht von Eva, auch vom Engel stamm‘ ich nicht. Mein Raum ist raumlos, mein Zeichen die Zeichenlosigkeit, ist weder Körper noch Seele, ich bin nur ein Teil von Seinem Licht. Die Zweiheit habe ich verworfen, ich sah in beiden Welten Eines. Einen such‘ ich, Einen ruf ‘ ich, Einen kenn‘ ich, Einen nenn‘ ich. Gott ist der Erste, und Er ist der Letzte. Er ist es, der außen ist und auch innen. Dies ist für jeden von uns das letzte Ziel.

Ein Weg des Dienens und Helfens

Ich habe in meinem Herzen die Vision einer Bruderschaft des Geistes. Organisierte Religionen mit übermäßiger Betonung äußerer Formen und Rituale werden leicht zu Bollwerken egoistischer Macht statt zu Mitteln des Dienens oder der Selbsterkenntnis. Die unvermeidliche Folge sind Zwietracht und Streit. Wir brauchen eine spirituelle Bewegung voll Einfachheit und Harmonie, die im Sinne einer Bruderschaft der Menschen und im Geist der Liebe für die ganze Schöpfung wirkt. Für mich ist Religion die Einheit von Leben und Liebe. Spiritualität ist Freisein von Selbstsucht. Wer alle liebt und allen dient, ist wahrhaft wissend – das ist die Botschaft aller Weisen der Menschheit, wie Buddha, Christus und Nanak. Es ist die Botschaft, die wir in der heutigen Welt tagtäglich so dringend brauchen.

 Sant Kirpal Singh

Sant Kirpal Singh (1894–1974) wirkte von 1948 bis zu seinem Tod als spiritueller Meister des Surat-Shabd-Yoga. Auf seinen Vortragsreisen und als langjähriger Präsident der „Weltgemeinschaft der Religionen“ erwarb er sich im Osten wie im Westen große Achtung und Sympathie.

Foto(s): THINKSTOCK

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