
Die Ärztin Astrid Seeberger über den Balanceakt von Nähe und Distanz
Würden Ärzte ihren Patienten besser zuhören und sich Zeit für ein Gespräch nehmen, gäbe es weniger Fehldiagnosen und die Hälfte der Erkrankten würde sich auch an die medizinischen Anweisungen halten. Die deutsche Nierenspezialistin und Wahl-Schwedin Astrid Seeberger bildet am Karolinska Institut Stockholm Medizinstudenten aus.
Dabei setzt sie ebenso wie bei ihren Patienten auf die Kunst des heilsamen Gesprächs, über das sie kürzlich ein sehr lesenswertes Buch geschrieben hat.
In Studien hat man herausgefunden, dass 15 % der Diagnosen falsch sind und sogar 50 % der Patienten sich nicht an die Anweisungen des Arztes halten, was besonders für chronisch Kranke fatal sein kann. Ist das tatsächlich allein darin begründet, dass es kein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gibt, das ein ausführliches Gespräch erst hätte schaffen können?
Es liegt vor allem daran, dass dieses Gespräch nicht so stattfindet, wie es sein müsste. Denn nur so kann man überhaupt erst eine vertrauensvolle Beziehung schaffen. Heute hat man häufig einfach nicht die Zeit, um Gespräche zu führen, und vielen ist nicht bewusst, wie bedeutungsvoll es ist. Auch weil man davon ausgeht, gute Gespräche bräuchten viel Zeit. Das stimmt nur bedingt für das Erstgespräch. Trifft man den Patienten wieder, braucht man sogar wesentlich weniger Zeit, sofern vorher eine gute Beziehung geschaffen wurde. Behält man im Hinterkopf, dass Patienten, die Anweisungen nicht befolgen, Komplikationen bekommen, ist der Aufwand, der daraus entsteht, doch wesentlich höher. Natürlich ist es wichtig, Zeit zu schaffen, und dazu muss das System verändert werden.
In Schweden gibt es inzwischen mehr und mehr Kliniken, die verstanden haben, dass Gespräche durchaus kosteneffizienter sein können. Deshalb hat man systematisch mehr Raum für solche Arzt-Patienten- Gespräche geschaffen.
Wenn man seinem Gesprächspartner das Gefühl vermitteln kann, ihm zuzuhören ohne ihn zu verurteilen, können gerade die Masken, die wir im täglichen Leben tragen, fallen.
Claudia Hötzendorfer
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