Dankbar und voller Liebe denken wir an Weihnachten an den Gottessohn Jesus Christus. Seine Botschaft von der Versöhnung mit Gott gilt heute genauso wie damals.
An Weihnachten feiern wir den Geburtstag von Jesus Christus. Mit dem ersten Advent beginnen wir unsere Feierlichkeiten bereits vier Wochen vor Weihnachten. Am ersten Advent zünden wir das Licht einer Kerze an, und jede Woche kommt eine weitere Kerze hinzu, bis wir vier Lichter haben. Dies hat eine besondere Bedeutung. Jesus war Menschensohn und zugleich Gottessohn. Wenn solch ein Gottmensch auf Erden erscheint, leuchtet das göttliche Licht immer stärker. „Ich bin das Licht der Welt“, sagte Jesus von sich, und weiter: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht in der Finsternis bleiben, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8.12)
Das Mysterium des Gottessohns
Der Gottmensch ist, wie im Johannes-Evangelium erklärt, „das fleischgewordene Wort Gottes“. Das heißt, die Gotteskraft wirkt vollumfänglich und in reiner Form in einem menschlichen Pol, der damit zum Gottmenschen wird. Ein Gottmensch hat also zwei Aspekte: Zum einen ist er Mensch, er sieht aus wie jeder andere Mensch, und zum anderen ist er mit Gott eins und Gott wirkt durch ihn. Da Gott durch ihn wirkt, begegnen wir Gott in ihm und erkennen in seiner Gegenwart das Wirken und die Attribute Gottes.
Jesus Christus wurde vor zweitausend Jahren geboren und bis auf den heutigen Tag feiern wir seinen Geburtstag, weil er als Gottmensch den Auftrag hatte, Menschen auf dem spirituellen Weg zu Gott und zur Erlösung zu führen. Jesus Christus war nicht der einzige Gottmensch, nicht der einzige Erlöser in der Menschheitsgeschichte, es hat in der Vergangenheit zahlreiche Gottmenschen in der Welt gegeben. Jesus Christus erklärte in diesem Sinne: „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“ (Johannes 9.5)
Wie die anderen Gottmenschen vor und nach ihm, überbrachte Jesus Christus den Menschen seiner Zeit die Botschaft Gottes. Jesus hat selbst betont, dass er nicht in der Welt sei, um eine neue Botschaft, eine neue Weisung oder ein neues „Gesetz“ zu vermitteln, sondern um die Botschaft der früheren Propheten zu erfüllen und damit zu bestätigen. Er verwies stets darauf, dass er nichts Neues sagen würde, sondern dieselbe Botschaft brächte wie die Gottmenschen früherer Zeiten.
Von Anfang der Menschheit an und zu allen Zeiten hat es Heilige in dieser Welt gegeben, um Menschen zu Gott zu führen. Aber den vollen Segen ihrer Anwesenheit auf Erden hatten nur die Menschen ihrer jeweiligen Zeit, die ihre spirituelle Führung annahmen.
Bewusste Verbindung mit der Gotteskraft
Der Auftrag des Gottmenschen beschränkt sich nicht auf die Korrektur von Missverständnissen und die Vermittlung theoretischer Kenntnisse des spirituellen Wegs. Er ist mehr als ein Lehrer. Seine Anwesenheit unter den Menschen ist darüber hinaus notwendig, um sie mit seinem Vorbild dazu zu inspirieren, sich dem spirituellen Weg zur Einheit mit Gott zu widmen. Er ist der lebende Beweis dafür, dass diese Einheit dem Menschen möglich ist, denn er ist als Mensch selbst den ganzen Weg bis zum spirituellen Ziel gegangen. Und was dem einen Menschen möglich ist, können auch andere schaffen.
Die Kernaufgabe eines Gottmenschen ist die spirituelle Führung der ihm anvertrauten Seelen zurück zu Gott. Der Gottmensch ist beauftragt und befähigt, diese Seelen mit Gott – genauer: mit der durch ihn und in ihm wirkenden Gotteskraft – zu verbinden.
Selbst wenn sämtliche Lehren und Wahrheiten der Gottmenschen vollständig und korrekt in schriftlicher Form niedergelegt worden wären, genügt das Bücherstudium nicht, um Gott begegnen und ihn persönlich kennenlernen zu können. Die Anwesenheit eines Gottmenschen ist vor allem deshalb notwendig, weil unsere Seele ohne die aktive Unterstützung seines Bewusstseins nicht in der Lage ist, ihre Beschränkung auf den physischen Körper zu überwinden und in die geistigen Ebenen aufzusteigen, damit sie tatsächlich Gott in der einen oder anderen Offenbarungsform erfahren kann.
Dies ist keine Frage von theoretischer Kenntnis oder von imaginativer Visualisierung, sondern es geht um eine eigene Erfahrung von Gott. Und nur ein wahrer Gottmensch hat die Kraft, die Last unseres Karmas vorübergehend – für den Zeitraum der Initiation – außer Kraft zu setzen und unsere Seele über das Körperbewusstsein zu Gott aufsteigen zu lassen. Zu diesem Zweck wird die Hilfe eines lebenden Gottmenschen gebraucht.
Nur ein Gottmensch ist dazu befähigt und autorisiert, andere Seelen dank der in ihm wirkenden allbewussten Gotteskraft in Verbindung mit Gott zu bringen. Wenn ein Gottmensch schließlich diese Welt verlässt, beginnen Leute, die seine Kompetenz nicht besitzen, eine Religion um ihn herum zu organisieren. Und da sie nicht in der Lage sind, die spirituelle Erfahrung von Gott zu vermitteln, reden sie über Dinge in der äußeren, grobstofflichen Welt und vernachlässigen den inneren, geistigen Weg der Gotterfahrung. Es fängt immer damit an, dass sie erklären, ihr Meister sei der einzige Vollkommene, er sei bereits vollkommen zur Welt gekommen und außer ihm, vorher oder nachher, habe es keinen anderen Gottmenschen gegeben.
Einen Gottmenschen finden
Wenn wir heute einen solchen Gottmenschen und solche Führung zu Gott finden wollen, müssen wir uns fragen, woran wir einen solchen Menschen erkennen können. Es gibt keine äußerlichen Merkmale oder Kennzeichen dafür, dass jemand ein solcher Gottmensch ist. Gäbe es solche sicheren äußerlichen Kennzeichen, dann hätten alle Zeitgenossen Jesu gewusst, dass er der Sohn Gottes war, und hätten ihn niemals gekreuzigt. Offensichtlich waren nicht alle seine Zeitgenossen bereit, seine Botschaft und seine spirituelle Führung anzunehmen und ernsthaft zu befolgen. Es waren vergleichsweise wenige, die dafür empfänglich waren.
Gottmenschen werden wegen jener wenigen Seelen in die Welt gesandt, die „das Siegel tragen“ oder für die spirituelle Führung durch ihn bereit sind. In diesem Sinne sagte Jesus Christus: „Ich bin der gute Hirte. Ich kenne meine Schafe und meine Schafe kennen mich gut.“ (Johannes 10.4-27) Er sollte sich bestimmter Seelen annehmen, und er kannte diese Seelen und jene Seelen erkannten auch ihn. Jesus Christus war für jene da, die durch ihn zu Gott zurückgeführt werden sollten, während andere, die dieses Siegel nicht trugen, ihn auch nicht erkannten.
Wenn wir davon sprechen, dass jemand das „Siegel“ für diesen spirituellen Weg trägt, bedeutet das, dass er die notwendige Empfänglichkeit besitzt, um Spiritualität zu verstehen und Liebe und Hingabe an Gott zu empfinden.
Unsere Seele ist ein Teil von Gott und ist deshalb ihrem Wesen nach gottgleich. Dieser göttliche Wesenskern ist jedoch verhüllt von zahllosen Eindrücken und Bindungen, die von angenehmen Erfahrungen in diese Welt herrühren. Beeinträchtigt von diesen Eindrücken, entfernt sich die Seele mehr und mehr von Gott und bemüht sich stärker um die angenehmen Dinge in der materiellen Welt.
Andererseits gibt es Handlungen und auch Eindrücke, die uns Gott wieder näher rücken. Solche guten Handlungen werden als spirituelle Tugenden oder Verdienste bezeichnet. Sie führen dazu, dass wir für Gott empfänglich sind und Gott lieben können. Sie können daher rühren, dass wir uns bereits in früheren Leben für einen Gottmenschen interessierten, uns von ihm haben initiieren lassen oder sonst Gutes getan haben, wodurch wir unsere Aufmerksamkeit und Sehnsucht verstärkt auf den Weg zurück zu Gott ausgerichtet haben.
Ob wir einem Gottmenschen begegnen und seine spirituelle Führung akzeptieren können, hängt nun nicht von einer Willensentscheidung ab, sondern ergibt sich aufgrund von unseren spirituellen Tugenden und Verdiensten aus früheren Lebensläufen. Es ist also nicht nötig, dass wir eine Suche starten, um einen Gottmenschen zu finden, sondern wem es aufgrund seiner spirituellen Tugenden gegeben ist, der wird automatisch und ohne bewusste Anstrengung zu ihm geführt und wird ihn treffen.
Wenn solche Seelen einem Gottmenschen begegnen, erkennen sie ihn aufgrund ihrer Empfänglichkeit. Sie empfinden sofort Liebe zu ihm und Sehnsucht nach Gott. Dann empfangen sie von ihm die Initiation und können auf dem Weg zu Gott weiter fortschreiten.
Das göttliche Licht
Das einzige Merkmal, an dem wir einen Gottmenschen in dieser Welt erkennen und von einem gewöhnlichen Menschen unterscheiden können, ist spiritueller (und nicht physisch-materieller) Art. Es ist die oben erwähnte Befähigung, andere Seelen über das Körperbewusstsein zu erheben und mit Gott in Seinen Offenbarungsformen zu verbinden, ihnen also die direkte eigene Erfahrung von Gott zu ermöglichen, und sie darüber hinaus durch fortschreitende Gottesoffenbarungen ans spirituelle Ziel – die Verschmelzung mit Gott – zu begleiten.
In seiner absoluten Essenz ist Gott formlos. Aus diesem Grund könnten wir ihn nicht erkennen, wenn er sich nicht unserer Seele in verschiedenen wahrnehmbaren Formen offenbaren würde. Seit Beginn der Schöpfung offenbart sich Gott in Form von spirituellem Licht und Klang. Das göttliche Licht, das wir in unserer Seele wahrnehmen, ist völlig anders als das physikalische Licht, das wir mit den Augen unseres Körpers wahrnehmen, was man an seiner Wirkung auf die Seele erkennt. Das physikalische Licht macht uns auf Dauer abgespannt und wir müssen das Licht ausschalten und schlafen. Das göttliche Licht hingegen erfrischt und nährt die Seele und erfüllt sie mit Freude; es wäscht die Eindrücke von der Seele und macht sie dadurch frei von Bindungen.
Inwendig in uns
Gott verströmt sich andauernd in unserer Seele in seinen manifesten Formen von Licht und Klang. Das göttliche Licht fließt ständig in unserem Inneren, auch wenn wir es nicht wahrnehmen können, weil unsere Aufmerksamkeit mit dem denkenden Gemüt zu den Dingen in der physischen Sinneswelt hinstrebt. Gott ist immer in uns zusammen mit unserer Seele, aber die Seele erfährt ihn nicht, weil sie sich in den äußeren Sinneserfahrungen zerstreut.
Wenn ein Gottmensch also eine Seele erstmalig mit Gott in Verbindung bringt (d.i. Initiation), sollte man nicht denken, dass er Gott von irgendwo anders herbeiruft und in die Seele einziehen lässt, denn Gott ist bereits inwendig in uns. Der Gottmensch hilft uns lediglich mit seiner Bewusstseinskraft, unsere Aufmerksamkeit von der äußeren Sinneswelt nach innen umzulenken. Und wenn wir einmal in der Lage sind, unsere Aufmerksamkeit nach innen gerichtet zu halten, entfaltet das göttliche Licht seine Anziehungskraft und zieht die Seele innerhalb des Körpers über das Körperbewusstsein empor in die spirituellen Ebenen.
Indem der Gottmensch uns mit dem Licht im Innern in Verbindung bringt, inspiriert er uns ferner, die göttliche Weisheit für unsere Alltagsbelange zu akzeptieren. So empfangen wir in der regelmäßigen Meditation fortlaufend Gottesoffenbarungen, vertiefen unsere Verbindung mit Gott, können seine Weisheit und Führung empfangen, was schließlich zum ewigen Leben führt.
Aus diesem Grund denken wir bei Anlässen wie Weihnachten voller Dankbarkeit und Liebe an solche Gottmenschen wie Jesus Christus, die in dieser Welt wirken, um uns mit dem Licht Gottes zu verbinden und zu unserem spirituellen Ziel in Gott zu führen.
Soami Divyanand (1932-2014), Meister des Surat-Shabd-Yoga, lehrte mehr als 35 Jahre lang den Pfad des inneren Lichtes und Klangs. Veden-Übersetzer und Autor zahlreicher Bücher.
BUCHTIPP
Sant Kirpal Singh: Wenn Gott auf Erden wandelt. Auftrag und Wesen der spirituellen Meister (Sandila)
Soami Divyanand