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Gut Saunstorf

Von angstgetriebenen Bildungsbemühungen und wahrer Menschenbildung. Ein Essay von Johannes Spath.

Ein Kind lernt alles, was es will. Aus Neugier und Interesse, ohne Druck, ohne Angst, ohne permanente Belehrung – und das auch unter den ökonomischen Bedingungen unserer Zeit. Zweckfreies Lernen wird dann zur Freude und bildet die Grundlage dafür, die Lernaufgaben eines Erwachsenen zu meistern. Alles, was es braucht, ist Freiraum und Vertrauen. Aber: Auf den Lehrer kommt es an!

Wirklich? Leider sind wir von dieser Traumkonstellation aus neugierigen Schülern und den rechten Lehrern weit entfernt. Die westlichen Gesellschaften wissen nicht, was ein Mensch im Leben eigentlich lernen soll und wem seine Bildung in Wahrheit zu dienen hat. Denn ihre Lehrer haben Angst, ihre Schüler könnten ohne Bildung untergehen in den Kämpfen um Brot und Dach und Job.

Wir alle lernen, weil wir befürchten, angesichts des Konkurrenzdrucks auf der Strecke zu bleiben. Überlebensangst. Unter dieser Angst verlieren wir Sinn und Richtung, Erkenntnisfähigkeit, Menschenwürde, Mitgefühl, Freude.

Die Trance-Induktion

Unbewusst folgen wir der alten Gleichung: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Der Mensch komme eben dumm und leer zur Welt und müsse deshalb gefüllt und belehrt werden.

Und die Folgen? „Tatsächlich hat ein Kind nicht die Kraft, sich zu wehren gegen das, was ihm tagein, tagaus erzählt wird, was es glauben soll. (...) Manche Lehrer sprechen hier von einer ständigen Trance-Induktion. Das Kind übernimmt ungeprüft die Botschaften des Umfeldes, der Eltern, wie des Kollektivs – die ausgesprochenen und die unausgesprochenen“, so der Philosoph und Mystiker OM C. Parkin in seinem Buch „Intelligenz des Erwachens“.

Brav konsumiert das Kind die dargebotene Bildung und beginnt so, der Angst zu dienen. Sein Geist reagiert mit Unwillen: "Ich habe keine Lust, zu lernen!" Am Schluss glaubt es selbst, es wolle gar nicht lernen und gibt diese „Trance“ an die eigenen Kinder weiter. Aber tief drinnen schmerzt etwas in seiner Seele.

Lernen aus Begeisterung

Der Gitarrenbauer André Stern dagegen war nie in der Schule. Aber nicht, weil er in Trance gesunken wäre. Er hat anders gelernt, ohne Hauslehrer, Prüfungen oder Bildungssystem. Stattdessen haben seine Eltern ihm den Raum und die Freiheit gewährt und ihn gelehrt, seinen eigenen Interessen und Impulsen zu folgen. Sein Bildungsweg liest sich inspirierend. Kaum irgendwo wird die Kraft kindlicher Neugier, Begeisterungsfähigkeit und Forscherdrangs so überzeugend dargestellt. Er zeigt: Ein Kind lernt alles, was es will.

Aber um sich so zu entfalten, braucht das Kind einen wirklich erwachsenen Menschen als Lehrer. Denn es stößt früher oder später an die Grenze des Todes. Und die Erwachsenen stehen für diese Grenze, für den Tod. Sie müssen Grenzen setzen da, wo das Kind in seinem kindlichen Allmachtsgefühl seine eigene Begrenztheit noch nicht sieht. Sie müssen es zum nächsten notwendigen Schritt führen. Sie lehren es, alles zu fühlen, was auf diesem Lernweg zu fühlen ist, und begleiten es darin in Ernsthaftigkeit und Liebe. Sie fordern von ihm Respekt. So wandelt sich das Bildungsziel: ein erfülltes, erwachsenes Leben zu führen – angesichts der eigenen Vergänglichkeit.

Echte und falsche Autorität

Wie wenige wirklich Erwachsene es gibt, zeigt der Streit um das Buch des Konfliktforschers und Ausbilders für Mediation Thomas Grüner. In seinem Buch „Bei Stopp ist Schluss“ fordert er einen „autoritativen Erziehungsstil“ in unseren Schulen. Die Kritik an ihm war vernichtend: Er maße sich „absolutistische Macht“ an, würde die Kinder zu angepassten Duckmäusern erziehen wollen.

Die enorme Kritik zeigt: Unsere vom Dritten Reich immer noch traumatisierte Gesellschaft verharrt in einem Autoritätskomplex. Sie lehnt Autorität ab – aus Angst vor Missbrauch. Echte und falsche Autorität werden vorsichtshalber gar nicht mehr unterschieden.

Vieles spricht dafür, dass es bei uns einen erschreckenden Verlust von erwachsener Autorität gibt, jener Autorität, die dem Herzen dient. Eltern und Lehrer wollen zwar das Beste für ihre Kinder, können aber nur zuschauen, wie diese zu „kleinen Tyrannen“ werden. Dass dabei alle Beteiligten ihre Autorität verlieren und in tiefe Angst geraten, wird selten bewusst wahrgenommen.

Die Ein-Bildung in Gott

Dabei ist die Bildung mit dem „ersten Bildungsweg“ der Weltaneignung und dem zweiten des Erwachsenwerdens noch nicht einmal abgeschlossen. Denn so sehr ihm äußerlich das Leben gelingen mag, wird auch der gereifte Erwachsene immer noch eine Unzufriedenheit, einen Mangel und eine Sehnsucht in sich spüren. Er leidet. „Wer bin Ich?“, fragt er sich, „Wo komme ich her? Wo gehe ich hin?“

Das ist die Stunde des „dritten Bildungswegs“. Auf diesem Weg lässt der Mensch alle erlernten Bilder einschließlich seines Selbstbildes wieder los, um zu sehen, was dann übrig bleibt.

Das mag vielen im Geiste noch einleuchten. Aber wer will das schon? Wer will es wirklich?

Wagen wir das „Bildungsabenteuer“ des dritten Weges? Wenn wir das nötige Vertrauen auf diesem Weg der Entleerung finden, geschieht eine Hingabe an das Unbekannte, die der christliche Mystiker Meister Eckhart (1260-1328) die „Ent-bildung“ des Menschen und seine „Ein-bildung in Gott“ nannte.

„Bildung wird in diesem mystischen Verständnis nicht als eine Leistung des Ichs, nicht als ein Ichhaftes Tun, sondern als eine Formung des Göttlichen im Menschen verstanden, als eine Formung aus dem Innersten, aus der Seele des Menschen. Dies ist das uralte mystische Verständnis von Bildung als einem Schöpfungsakt Gottes, in dem Gott sich im Menschen sein eigenes Bild schafft“, so OM C. Parkin in einem Vortrag aus dem Jahr 2004.

So kann der Mensch der werden, der er sein soll; das Wort von der Ebenbildlichkeit Gottes wird zur lebendigen Erfahrung, und die Seele kann endlich Frieden finden.

Johannes Spath ist Oberstudienrat für die Fächer evangelische Religion und Biologie. Er ist seit über 15 Jahren Schüler des Weisheitslehrers OM C. Parkin.

Weitere Info: Gut Saunstorf – Ort der Stille. www.gut-saunstorf.de

Johannes Spath

FOTO: Thinkstock

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