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Sandra Gutekunst beschreibt ihren Weg zur veganen Ernährung

Wenn Schweine Hunger haben, kennen sie kein Erbarmen. Das dachte ich, als ich den beiden Schweinchen, die ihre Kindheit auf meinem Grundstück verbringen durften, ihr morgendliches Futter brachte. Für gekochte Kartoffeln hätte Violett alles gegeben. Vor allem vollen Körpereinsatz. Purple, die sanftere der beiden Schweinemädchen, zog regelmäßig den Kürzeren bei der Essensverteilung. Ansonsten hatten die beiden alles, was ein Schweineherz begehrt: Auf 500 Quadratmetern im Dreck wühlen, herum galoppieren wie junge Pferde und sich aneinander gekuschelt in der Sonne räkeln. Wenn da nur nicht das Problem mit der Intelligenz gewesen wäre. Schweine sind nämlich intelligenter als Hunde, das haben unsere hochgeschätzten Wissenschaftler herausgefunden. Was die meisten Leute nicht im Geringsten daran hindert, diese Tiere mit Genuss zu verspeisen, während es ihnen bei der Vorstellung, einen Hund zu essen, den Magen umdreht.

Violett brauchte also nicht lange, um zu kapieren, dass die Stromzaun-Stangen mit einem kräftigen Ruck ihrer kleinen Schnauze ausgehebelt werden konnten. Und wenn Schwein diese Technik bei mehreren Pfosten nebeneinander anwendet, kann es wunderbar über die auf dem Boden liegenden Stromlitzen hinweg auf die angrenzende Wiese spazieren, wo alle Grassoden noch an ihrem ursprünglichen Platz liegen. Ich hatte einen ganzen Sommer lang alle Hände voll zu tun, um die beiden in ihre Schranken zu weisen.

Es war mir schwer ums Herz, als ich sie vor Einbruch des Winters, wie zuvor vereinbart, an einen Bauern mit einem kleinen Hof übergab. Als meine 12-jährige Tochter und ich die beiden eines Tages besuchen wollten, stand nur noch Purple in der Dunkelheit in ihrem Stall, in dem sie sich fast nicht drehen konnte. Sie war inzwischen so groß wie eine XXL-Badewanne und so schwer, dass sie die empfindlichen Klauen kaum auf dem kalten, schmutzigen Betonboden aufsetzen konnte.

Als ich nach Violett rief, drangen aus einem Anhänger im Hof verzweifelte, durchdringende Schweineschreie an mein Ohr. Violett! Wir rannten zum Anhänger. Laura begann zu weinen. Violett erkannte uns. Ihre Schreie steigerten sich ins Hysterische. Violett war noch nie allein gewesen und musste hier in der Ungewissheit ganz allein ihre Angst aushalten, bis sie zum Schlachter kam. Ich streckte meine Hand zu ihr hinein und massierte sie, wie ich es im Sommer immer getan hatte. Langsam beruhigte sie sich. In Menschenleben umgerechnet war sie ein 8-jähriges Mädchen. Am nächsten Morgen wurde sie geschlachtet.

Ich zündete eine Kerze für Violett an und war sehr traurig. Kaum hatte ich die Energie, die Bewirtung des Schulbazars zu organisieren. Was sollten wir zu essen anbieten? Üblicherweise gab es Würstchen und Fleischkäse. Also Violett. Das konnte ich unmöglich zulassen. Doch was war die Alternative? Wie würden die Leute wohl auf ein vegetarisches Essensangebot reagieren? Ich entschied mich für Sandwiches mit Käse und Tomaten, Sandwiches mit Käse und Mais und – ganz würde ich wohl nicht darum herumkommen – Sandwiches mit sehr dünnem Schinken und Käse.

In diesen Tagen flatterte mir eine Mail von Freunden ins Haus, die mein ohnehin lädiertes Gemüt in Sachen Ernährung vollends an den Rand brachte. Dass es, um einen Teller Fleisch zu füllen, bis zu 17 Tellern pflanzliche Kost braucht, welche den Umweg über einen Tierkörper nimmt, hatte ich schon mal irgendwo gehört. Aber dass diese pflanzliche Nahrung für unsere ausgebeuteten, in Konzentrationslagern gehaltenen Tiere aus Ländern exportiert wird, wo täglich Zehntausende von Menschen verhungern, hatte ich wirklich nicht gewusst. Genauso wenig wie viele andere prekäre Fakten.

Ich war zutiefst schockiert. Mein Käse- Ersatz-Programm beim Bazar war auch keine wirkliche Lösung. Die Massentierhaltung betraf ja nicht nur die Fleisch- sondern auch die Milchindustrie!

Ich erinnerte mich, wie ich als 19-Jährige auf einem Bauernhof Zeuge der Geburt eines Kälbchens wurde. Die Kuh schrie aus Leibeskräften, was ich ihr erst nachdem ich selbst ein Kind geboren hatte wirklich nachfühlen konnte. Die Bäuerin, die ihre Kuh sehr liebte, nahm die Sache sehr wörtlich und band die Kuh zum Zweck der Entbindung von ihrem Strick los. Lisa durfte einen Meter nach hinten auf den verkackten Betonboden treten, wo ihr Kälbchen kurz darauf hart landete. Der kurze Moment der Idylle, in dem wir zusahen, wie die Mutter ihr Kind trockenleckte, wurde jäh beendet, als die Bäuerin das Kälbchen von der Mutter wegzerrte und in eine Box sperrte. Die Kuh durfte dann wieder nach vorn treten, um den Rest des Jahres angebunden darauf zu warten, dass sie gefüttert, gemolken und geschwängert wird. Ein Schicksal, dass sie mit 30 Prozent der Milchkühe in Deutschland teilt. Am nächsten Morgen gab es herrlichen Allgäuer Käse zum Frühstück.

Es war, als würde mich die Erkenntnis dieses Erlebens, das nun schon 25 Jahre zurück lag, mit voller Wucht treffen. Verschärft von wissenschaftlich fundierten Fakten. Die von der chinesischen Regierung und amerikanischen und britischen Universitäten in Auftrag gegebene großangelegte China Study belegt z. B. eindeutig, dass Kasein, das in Milchprodukten meistenthaltene Eiweiß, krebsfördernd ist.

Je nachdem welche Einstellung du hast, desto leichter ist die Umstellung. Bei mir war der Beschluss glasklar. Es gibt so viele andere leckere Nahrungsmittel; auf Fleisch- und Milchprodukte zu verzichten war keine so große Entbehrung. Zumal ein Teil der Industrie kräftig mitzieht. Wer auf seinen gewohnten Wurst- und Fleischgeschmack nicht verzichten kann, für den gibt es Ersatzprodukte. Bei mir war es eben Banane statt Butter auf dem Toast und Hafercreme statt Sahne in der Rahmsoße. Zum Lieblingsbrotaufstrich entwickelte sich selbstgemachte Rote Beete-Cashewnuss- Creme. Und die vegane Lasagne ist einfach himmlisch! Überhaupt, seit ich vegan koche und im Internet immer wieder auf neue leckere Rezepte stoße, esse ich genussvoller als je zuvor, bin schlanker und meine früher so penetrante Dauererkältung beschränkt sich auf eine Woche im Jahr.

Sandra Gutekunst

Zur Autorin:
Sandra Gutekunst, geboren 1972, lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin und Möbeldesignerin im Schwarzwald. Autorin des heiter-tiefgründigen  omans „Genussrecht oder Fräulein Fratz und die Fütterung der Schweine“.
Versandkostenfrei bestellbar bei:
arcanovaverlag.de

Foto(s): Sandra Gutekunst

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