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Erkenne dich selbst!

Die größte Aufgabe des Menschen ist es, sich selbst zu erkennen. Man täuscht sich, wenn man sich selbst für den Körper oder den Verstand hält. Wer oder was ist also das Selbst, das in uns am Wirken ist?.

Was ist der Mensch? Ehe sich der Mensch nicht selbst erkennt, kann er Gott nicht erkennen. Alle Schriften, die wir heute besitzen, raten: „Mensch, erkenne dich selbst.“ Sie sagen nicht: „Erkenne andere.“ Warum?

Wer bist du? Was bist du? Bist du dieser 1,60 m oder 1,80 m große Körper? Sich selbst zu erkennen, bedeutet nicht, den Körper, den du hast, zu erkennen. Die Zeit wird kommen, wo du den physischen Körper –  dieses Kleid aus irdischem Lehm, das dem Verfall und Vergehen unterworfen ist – ablegen musst. Der Körper bleibt leblos zurück wie ein Klumpen Erde und wird begraben, aber du…?

Du magst noch so viel über dein physisches Selbst wissen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass du dich selbst erkennst. Die Griechen hatten in ihren Tempeln die In schrift eingemeißelt: „Gnothi seauton.“ In  en Upanishaden heißt es: „Erkenne dich selbst.“ Auch Christus sagte: „Erkenne dich selbst.“ Und Guru Nanak erklärte: „Solange du dich nicht selbst erkennst, bist du nicht imstande, Gott zu erkennen.“ Diese  ganze, riesige Täuschung, in der du dich wie die meisten anderen Menschen auch befindest, ist nicht so leicht zu beseitigen. Du siehst andere menschliche Körper wie deinen eigenen, aber der macht noch nicht  den Menschen aus.

Den inneren Menschen erforschen

Wer oder was ist also der Mensch? Vor dieser Frage stehen wir seit Anbeginn der Welt. Wir wissen so viel über unser äußeres Selbst – wie wir unseren Körper erhalten, unsere Familie ernähren, in Staat und  Gesellschaft leben. Wir haben eher zu viel an den Körper, sein Wohlergehen und seine Beziehungen gedacht, sind aber nie nach innen gegangen, um den inneren Menschen, das innere Selbst zu sehen, zu  sehen, wer wir sind und was wir sind.

Die Seelen sind ihrer ganzen Natur nach göttlich. Sie sind die vielen Tropfen des Meeres der Gottheit, sind jedoch von Gemüt  und Materie eingeschränkt. Deshalb können sie sich, so wie sie jetzt sind, nicht erkennen und nicht unterscheiden, wer sie sind.

Wovon sprechen all die Schriften, die uns von den spirituellen Meistern hinterlassen wurden? Vom Menschen. Sie fordern uns auf: „Mensch, erkenne dich selbst!“ Darum ist das Erkennen des Menschen, sowohl  seiner äußeren als auch seiner inneren Aspekte, unser wichtigstes Studium. Das Höchste, das der Mensch studieren kann, ist nicht Theologie, Jura, Literatur oder Medizin, sondern der Mensch. Der englische  Dichter Alexander Pope schrieb: „So erkenne denn dich selber und wähne nicht, Gott zu ergründen; das wahre Studium des Menschen ist der Mensch.“ Solange man nicht den Menschen kennt, ist alles übrige  blanke Unwissenheit und Aberglaube. Je mehr man die Schriften rein äußerlich studiert, desto mehr stellt man fest, dass alles nichts als eine Ansammlung von Gedanken und Begriffen ist, die andere zum Ausdruck gebracht haben.

Sich vom Körper loslösen

Selbsterkenntnis ist das Ergebnis der Selbstuntersuchung – in der Praxis, nicht in der Theorie. Wir beobachten viele Menschen, die nachdrücklich durch Ausschließen und Schlussfolgern erklären: „Ich bin nicht  der Körper. Ich bin nicht der Verstand. Ich bin nicht die Lebensenergien oder ‚Pranas‘. Ich bin nicht die Sinnesorgane.“ Das ist in Ordnung. Aber haben wir uns jemals praktisch analysiert, indem wir uns im Geist  über den Körper erhoben, über das Körperbewusstsein aufstiegen und selbst sahen, dass wir etwas  ganz Anderes sind als der physische Körper, als der Verstand, die Lebensenergien und die Sinnesorgane,  die alle den äußeren Menschen ausmachen? Hast du dich je über das Körperbewusstsein erhoben und so eine eigene, unmittelbare Erfahrung von deinem inneren Selbst gehabt? Du wirst sehr wenige  Menschen finden, die dies wirklich erreicht haben.

Für gewöhnlich besteht die Erforschung des Menschen darin, sich den Kopf mit gewissen Kenntnissen vollzustopfen. Manchmal liest man die spirituellen Schriften aber auch, um mehr darüber zu lernen, was die  Meister über sich und Gott erforscht und herausgefunden haben, um anderen dabei zu helfen, ihr Selbst zu finden. Das Studium spiritueller Bücher ist aber nur ein erster, grundlegender Schritt, der in uns ein  Interesse dafür wecken wird, dass dieser oder jener  piritueller Meister göttliches Licht in sich sah. Können wir das auch sehen? Ja, wir können es gleichfalls, denn was einem Menschen möglich war, kann auch  ein anderer erreichen, natürlich mit der rechten Anleitung und Übung.

Die Meister haben in ihrem Innern das Licht Gottes gesehen. Und jene, die als spirituelle Schüler nach dem lebten, was sie sagten, machten während ihres eigenen Lebens genau die gleiche Erfahrung, wenn  auch auf verschiedenen Stufen. Wir sollten während unseres menschlichen Lebens in der Lage sein, das Licht Gottes zu sehen. Wenn du dieses Licht geschaut hast, wird sich dein ganzes Leben ändern. Du  kannst es aber erst wahrnehmen, wenn du dich im Geist über das Körperbewusstsein erhebst. Es ist eine Sache der Praxis.

Von Neuem geboren

Diese befreiende Erfahrung vom Selbst und vom Überselbst oder Gott können wir nur erlangen, wenn wir uns wirklich im Geist über die Welt von Körper und Sinnen in die spirituellen Regionen erhoben haben,  wenn wir „von Neuem geboren“ wurden, wie Christus sagt: „Es sei denn, dass jemand von Neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ (Joh. 3, 5) Zur Erläuterung dieser zweiten Geburt fährt  r fort: „Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes gelangen.“ Es ist klar: Wenn wir nicht durch den spirituellen Aufstieg und die Selbsterkenntnis  von Neuem geboren werden, bleibt unser inneres Auge, das uns befähigt, das Licht Gottes zu sehen, ungeöffnet.

Wie sagte Plutarch? Er sagt: „Jene, die in die Geheimnisse des Jenseits eingeweiht sind, machen die gleichen Erfahrungen, wie sie die Seele beim Verlassen des Körpers erfährt.“ Eines Tages wirst du natürlich  den Körper und alles, was mit dem Körper zusammenhängt, verlassen müssen. Das ist meiner Ansicht nach ein sehr klarer Beweis oder zumindest Indiz dafür, dass du nicht dieser Körper bist, über den du so viel  weißt. Mit „das Selbst erken nen“ ist gemeint, das innere Selbst zu erkennen, das geistige Selbst, das spirituelle Wesen, das den Körper beim Tod verlässt. Man kann sagen, dass dieser physische Körper durch  den Tod – die große, endgültige Umwandlung – überwältigt wird. Aber fürchte dich nicht: du stirbst nicht.

Die Suche des Buddha

Buddha, der erst Gautama hieß, war ein Prinz, erzogen wie ein Prinz, inmitten von Luxus und Reichtum. Einmal besuchte er die Stadt, die zu seinem Willkommen schön geschmückt war. Als er in einem Wagen  durch die Straßen fuhr, sah er einen alten Mann mit hagerem Gesicht, eingefallenen Augen undschwankender Gestalt. Er bewegte sich mit Hilfe eines Stockes unsicher vorwärts. Der Prinz schaute den alten  Mann an und fragte den Wagenlenker: „Was war das?“ – „Das Alter, Herr; der Körper muss alt und gebrechlich werden“, erwiderte der Fahrer. Das erschütterte ihn sehr. Als sie weiterfuhren, sah er einen  Sterbenden, der nach Atem rang, und fragte wieder, was das sei. Der Wagenlenker antwortete: „Ja, Herr, wir müssen sterben und den Körper zurücklassen. Dieser Mann stirbt. Er ringt nach Atem.“ Das machte  den Prinzen noch trauriger und nachdenklicher. Er sann darüber nach, ob dies das Los unserer schönen Körper sei. Der Fahrer brachte ihn aus der Stadt heraus, um weitere hässliche Anblicke zu umgehen.  Aber außerhalb der Stadt sah der Prinz vier Männer, die einen Leichnam trugen. Er fragte natürlich, was das wäre, und erhielt die Antwort: „Ja, Herr, wir müssen den Körper verlassen.“ Das machte den Prinzen noch schwer mütiger, und er rief aus: „Es ist seltsam, dass wir eines Tages unsere schönen  Körper verlassen müssen; aber was ist es, das aus ihnen herausgeht?“

Das war der größte Tag in Gautamas Leben. Er erwachte und fragte sich, was es sei, das den Körper belebt. – Auch wir haben die gleiche Art von Körper. Und wir haben einer großen Anzahl von Bestattungen  unserer Freunde und Verwandten beigewohnt, aber das Mysterium des Lebens hat uns, anders als es bei Gautama der Fall war, nie beeindruckt.

Gautama kehrte heim. Es wurde ihm ein Sohn geboren. Das ist gewöhnlich ein Tag gro ßer Freude, aber Gautama war in das Geheim nis des Lebens vertieft. Er verließ sein Heim, seine Frau und seinen Sohn,  um die Lösung für das Rätsel des Lebens zu suchen: „Was bin ich? Wer ist es, der den Körper verlässt?“

Solange das innere Selbst in diesem physischen Körper wirkt, sind wir am Leben, wir sprechen, denken, bewegen uns. Aber wenn es den Körper verlässt, wird er bestattet. Niemand bewahrt den toten Leib auf, er wird so bald wie möglich aus dem Haus geschafft.

Das Mysterium des Lebens ergründen

Dies ist das Problem, das sich uns stellt.  Wir müssen es untersuchen, damit wir wie Gautama entdecken, was es ist: „Wer bin ich? Was bin ich?“ Jene, die es wissen und das Mysterium des Lebens ergründet  haben, haben eine wunderbare Leistung vollbracht. Woher kamen all die spirituellen Schriften? Aus dem Innern, aus dem Innern des Menschen. Woher kamen all die Erfindungen Menschheit? Aus dem Innern  des Menschen, nicht von außerhalb.

Worin liegt sodann die größte Wahrheit? Im Erkennen deines Selbst; darin, zu wissen, wer du bist und was du bist. Selbsterkenntnis geht der Gotterkenntnis voraus. Wer sich selbst erkennt, wird auch Gott  erkennen, denn es ist allein die unbegrenzte Seele, die Ihn erkennen kann, nicht der begrenzte Verstand. Man kann Gott nicht mit dem begrenzten Verstand erfassen.

 Sant Kirpal Singh

Sant Kirpal Singh (1894–1974) wirkte von 1948 bis zu seinem Tod als spiritueller Meister des Surat-Shabd-Yoga. Auf seinen Vortragsreisen und als langjähriger Präsident der „Welt gemeinschaft der Religionen“  erwarb er sich im Osten wie im Westen große Achtung und Sympathie.

Inspiration & Information
Soami Divyanand:
Das Mysterium von Leben
und Tod (Divyanand Verlag)
www.visionen-shop.com

FOTO: gettyimages

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