Alle spirituellen Wege, egal in welchem Kulturkreis sie entstanden sind, liefern eine Erklärung für den Schmerz und das Leid in der Welt und bieten gleichzeitig eine nachhaltige Lösung an, einen Weg zur dauerhaften Befreiung von Leid.
Jesus Christus in der Bergpredigt, Lord Krishna in der Bhagavadgita, Gautama Buddha im Dhammapada oder der Prophet Mohammed im Koran – sie alle lehren, dass der Mensch durch Verstöße gegen die Grundregeln des Lebens sich sein Unglück selbst einbrockt. Zugleich geben sie konkrete Hinweise, wie er sich a) durch eine richtige Sicht auf die Welt und b) durch eine Verhaltenskorrektur aus dem Leiden befreien kann
Dieser glückliche Zustand der Erlösung oder Befreiung von Leiden heißt im Buddhismus nirwana (Pali: nibbanam). „Nirwana“ bedeutet nicht „Nichts“, sondern das Verlöschen der unheilsamen und leidverursachenden geistigen Zustände. „Nirwana ist das ultimative Glück“, sagt Buddha (Dhammapada 204), und diesen Nirwana-Zustand kann prinzipiell jeder zu Lebzeiten erlangen.
Freude und Glück unterscheiden
Unser ganzes Leben lang haben wir es in dieser Welt mit vielfältigem Leiden und Unglück zu tun – von der Schule über das Berufsleben, aufgrund von Krankheit, dem Umfeld, der Lebenssituation, dem Alter, sogar aufgrund der eigenen Gedanken- und Gefühlswelt. Sicherlich, zwischendurch erleben wir Momente und Phasen des Glücks, die das Leiden kurzfristig vergessen lassen, die jedoch nicht von Dauer sind. Wie kommt es, dass ist?
In dem Moment, da wir unsere Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand in dieser Welt richten und daran wir, zufrieden und glücklich zu sein. Aber leider sind wir nur so lange glücklich, wie wir unsere Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand gerichtet halten. Sobald unsere Aufmerksamkeit aus irgendeinem Grund gestört die Freude gar nicht mehr. Da sich alles in der materiellen Welt ständig verändert, ist es für uns Menschen gar nicht möglich, unsere Aufmerksamkeit über längere Zeit auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren. Und deshalb ist immerwährendes Glück in dieser Welt nicht möglich. Ich möchte hier betonen, dass das Glück nicht in den materiellen Dingen liegt, sondern in der Aufmerksamkeit, die wir auf diese Dinge richten.
In Zusammenhang mit Glück muss man zwei Begriffe unterscheiden: Zum einen gibt es die Freude, die materielle Dinge der Sinneswelt in uns auslösen, aber dieses Vergnügen ist sehr kurzlebig. Das andere ist Wonne, Glückseligkeit, Glück im eigentlichen Sinn, das nicht vergeht und sich nicht verändert. Diese unbegrenzte, beständige Glückseligkeit kommt von Gott, dem Über-Selbst. Denn Gott bzw. das Über-Selbst ist unveränderlich und von ewiger Dauer.
Es gibt auf dieser Welt unzählige Faktoren, die unsere Freude stören können. Oft machen wir uns Illusionen über die Bedingungen für unser Glück. Zudem ändern sich unsere Wünsche und Vorstellungen vom Glück fortlaufend. So plagen uns Zweifel und Unsicherheit, weil wir immer wieder durch neue Überlegungen und Wünsche gestört werden. Aber wir wollen doch endgültig glücklich sein!
Ethisch leben
Das Glück und die Befreiung des Geistes von Illusion sind ein zentrales Thema in der Lehre von Lord Buddha. Im Dhammapada, einer Sammlung sich wichtige Leitlinien zum Erlangen von Glückseligkeit (Pali: sukha).
Nehmen wir zum Beispiel Vers 333, dort heißt es an erster Stelle: „Tugend (sila), die das ganze Leben lang währt, ist Glückseligkeit...“ Tugenden sind alle jene Haltungen und ethisch einwandfreien Handlungen, die uns dem Ziel, unserem göttlichen Wesenskern, näher bringen: Güte, Mitgefühl, Freigebigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufrichtigkeit usw. Tugend der Wahrhaftigkeit ununterbrochen bis ans Ende unserer Tage, so erfüllt uns das zunehmend mit Glück, weil wir unbelastet offen und ehrlich mit allem umgehen. Alle Tugenden, die wir kompromisslos und dauerhaft einhalten, machen uns glücklich. Wenn man wirklich Glückseligkeit erfahren will, ist es notwendig, den spirituellen Weg entschlossen und beharrlich bis ans Ziel fortzusetzen. Wer dauernd Kompromisse eingeht und die Richtung wechselt, kommt nicht ans Ziel.
Die unveränderliche Glückseligkeit, die wir auf der Basis von Tugendhaftigkeit erleben können, strömt uns von Gott, dem ÜberSelbst, zu. Sie ist eine Ausdrucksform, eine Emanation des Göttlichen.
Indem wir ohne Unterlass tugendhaft leben, können wir solche göttliche Glückseligkeit erfahren. Sie wird aber getrübt, sobald wir uns aufgrund von egoistischen Überlegungen gegen das ethisch richtige Verhalten entscheiden.
Festes Vertrauen
Als zweites sagt Buddha in diesem Vers: „Festes Vertrauen ist Glückseligkeit…“ Wenn unser Vertrauen in Gott (das Über-Selbst) felsenfest und unerschütterlich ist, sind wir glücklich und nichts kann unser Glück stören. Mag sein, dass wir zuzeiten in Schwierigkeiten sind, aber wir lassen uns davon nicht beirren, sondern sind zuversichtlich, dass letztendlich alles zu unserem Wohl aufgehen wird. Dieses Vertrauen wird genährt und bestärkt, wenn wir in der Meditation Eingebungen und Erkenntnisse in Bezug auf zukünftige und vorangegangene Ereignisse erhalten; das wiederum festigt uns in unseren Entscheidungen.
Weisheit erlangen
Als drittes sagt Buddha hier: „Das Erlangen von Weisheit ist Glückseligkeit…“ Wenn wir Weisheit (Pali: panna, Sanskrit: prajna) erwerben, empfangen wir damit auch dauerhaftes Glück. Weisheit erlangen wir, wenn wir unsere Aufmerksamkeit in der Meditation nach innen wenden und mit Gott in Verbindung treten. Ob von Vertrauen oder von Weisheit gesprochen wird: Glückseligkeit hat ihren Ursprung immer in Gott und wird uns in der Verbindung mit ihm zuteil. Ohne Weisheit stecken wir dauernd in Schwierigkeiten und können deshalb nicht glücklich sein. Logisches Abwägen, Diskussionen, Überlegungen, ja unser ganzer Verstandesapparat führen nur dazu, dass wir in unseren Entscheidungen unsicher sind und schwanken. Weisheit hingegen ist eindeutig, klar, zuverlässig und beständig, weil sie von Gott, dem Über-Selbst, ausgeht.
Weisheit ermöglicht uns auch, Phasen der Unzufriedenheit und des Unglücklich-Seins gelassen zu ertragen dank der Einsicht: Das ist nur ein Zustand, in dem ich altes Karma abtragen muss. Und indem wir karmisch bedingtes Unglück durchstehen, gewinnen wir unterm Strich an Glückseligkeit. Das Wichtigste aber ist, dass Gottes Weisheit uns in Zeiten der Not führt und leitet. Wir empfangen sie dann, wenn wir sie am meisten brauchen. Gottes Weisheit ist also auch eine Quelle des Glücks.
Nichts Böses tun
Als viertes erklärt Buddha in diesem Vers: „Nichts Böses (Pali, Sanskrit: papa) zu tun ist Glückseligkeit.“ Das Wort papa – Böses, Sünde – bezeichnet nicht bestimmte Dinge, die uns Freude oder Leid bereiten. Vielmehr meint es generell alles, was uns von unserem spirituellen Ziel – dem Aufgehen in Gott – abhält, indem es unsere Verstrickung, unser Anhaften an die Dinge der materiellen Welt vergrößert. Es mag sein, dass wir jetzt Freude an einer Sache haben, aber daraus kann Bindung entstehen, die nach einer Wiederholung verlangt, und so jagen wir ständig im Kreislauf von Freude, Verlangen und Wunscherfüllung umher.
Wie können wir uns vor dieser unheilsamen Bindung beim Handeln hüten? Indem wir unsere Aufmerksamkeit nicht mit ichhaften Hoffnungen und Wünschen auf die Resultate unseres Handelns heften. Das ist aber nur möglich, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nach innen lenken und auf Gott hinter dem Dritten Auge richten. Wir brauchen dabei nicht in die tiefste Stufe der Versenkung (samadhi) gehen, sondern es geht darum, die Aufmerksamkeit zuerst im Innern zu verankern und sie dann zu einem Teil (so weit notwendig) der anstehenden Arbeit zuzuwenden. Solches Handeln nennt man neh-karma, Nichthandeln im Handeln, oder Handeln ohne Ich.
Nun mag jemand denken: Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf Gott richte, während ich arbeite, könnte es doch sein, dass ich meine Arbeit nicht einwandfrei ausführe. Aber das wird nicht passieren, denn wenn wir unsere Aufmerksamkeit bei Gott haben, wird er unsere Handlungen lenken. Er wird uns so steuern, dass das Resultat unserer Arbeit in seinen Augen perfekt ist
Manche Leute behaupten, dass Buddha in der Überlieferung niemals von Meditation spricht. Aber was ist das dann, wenn er beschreibt, wie wir Glückseligkeit erlangen – ist das nicht Meditation? Es ist gar keine Frage, dass wir meditieren müssen. Meditation, die Versenkung des individuellen Geistes in Gott bzw. das Allbewusstsein, ist auch bei Buddha das zentrale Fundament des spirituellen Weges. Ohne Meditation können wir das Ziel nicht erreichen.
Das Glück in aller Kürze
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit so auf Gott konzentrieren, werden wir dank diesem Fundament tugendhaft handeln, und diese Tugenden werden uns bis zu unserem Lebensende begleiten. Die Eingebungen und Erkenntnisse, die uns von Gott und machen uns unerschütterlich. Sie inspirieren und führen uns und vermitteln uns das rechte Wissen. Wenn wir im Handeln unsere Aufmerksamkeit auf Gott gerichtet halten, sind nicht wir der Handelnde, und wir hängen nicht am Ergebnis unseres Tuns. Das Beste, was wir tun können ist, so lange wie wir in dieser Welt leben, ständig an Gott, unser Ziel, unsere Bestimmung zu denken.
Soami Divyanand
Soami Divyanand:
Spirituelle Unterweisungen (Sandila)
Soami Divyanand (1932 – 2014), Meister des Surat-Shabd-Yoga, lehrte mehr als 35 Jahre lang den Pfad des inneren Lichtes und Klangs. Er ist Veden-Übersetzer und Autor zahlreicher Bücher.