„Ziehen Sie los und wundern Sie sich, denn die Natur liebt es, sich zu verbergen. Sie macht nichts vergeblich, sie ist unendlich geteilter Gott.“
Im Flackern des Feuers wird ein Felsvorsprung plötzlich zum Rumpf eines mächtigen Stieres und eine Ecknische zum Versteck einer stolzen Hirschkuh. Für unsere Vorfahren war das Bemalen dieser Felswände ein riskantes Unterfangen. Trotzdem, als sei ihre Kunst die Erfüllung einer spirituellen Pflicht, ein unstillbarer innerer Drang, wagten sie sich in die Dunkelheit, in den Uterus der Erdmutter, und hinterließen uns nicht nur unzählige ihrer rotbraunen Handabdrücke als kollektive Signatur ihrer Naturverbundenheit.
Noch im 19. Jahrhundert identifizierten die Romantiker die Natur als makrokosmische Analogie der menschlichen Seele. Mit dem Rücken zum Betrachter gewandt, offenbart sich das Innenleben der Bildfigur als überwuchernder Garten oder als zerklüftete Berglandschaft. Ja, die menschliche Seele ist grün und es ist nur die Natur, die all unsere „wesen-tlichen“ Bedürfnisse zu kennen und nachhaltig zu stillen
scheint.
Aus der einstigen Verehrung einer göttlichen Schöpfung wurde die Ausschlachtung eines unbelebten Ressourcenspeichers. Damit einhergehend entfremdete sich auch die menschliche Arbeit von der Natur, vom Produkt und von gemeinschaftlicher und sozialer Einbettung. Heute lebt der Mensch, um zu arbeiten, oder ringt um seine Work-Life-Balance.
Trost und Kraft in der Natur finden
In meinem Praxisalltag begegnen mir Menschen mit den unterschiedlichsten körperlichen und seelischen Leiden. Was jedoch die meisten von ihnen eint, sind berufliche Unzufriedenheit, Erschöpfung, Sinnverlust und fehlende Intuition bzw. ein fehlendes Körperbewusstsein. Erst wenn wir in Resonanz mit uns selbst treten, können Selbstheilungskräfte aktiv werden. Am besten gelingt uns das mit viel Bewegung, Stille, entsprechender Ernährung – und viel Naturerleben. Wege der Heilung, der Entwicklung, waren von je her ganzheitliche Prozesse, denen immer auch eine spirituelle Komponente innewohnte. So liegt es auf der Hand, dass gelebte Spiritualität auch im Berufsalltag wahre Wunder wirken kann. Die Natur zeigt uns, dass alles einem unendlichen Zyklus der Erneuerung und des Wandels unterliegt, und mit dem spirituellen Bewusstsein, dass allen Dingen, Zuständen, Erfahrungen und Ereignissen immer auch ein neuer Anfang innewohnt, werden wir wahrhaft frei. Erkennen wir in der Schöpfung unseren Lehrmeister, so finden wir Trost und Kraft, eine Form des Staunens, der Liebe und der Versöhnung.
Glaube, Hoffnung, Liebe
Paulus von Tarsus schreibt in seinem ersten Brief an die Korinther: „Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Von diesen dreien aber ist die Liebe das Größte.“ Damit bringt der Apostel den zentralen Kern eines sinnerfüllten Lebens zum Ausdruck. Dass diese zeitlosen weisen Worte des Apostels aber an eine Gruppierung gerichtet war, die aufgrund der sozialen Sprengkraft ihres neuen Menschen- und Weltbildes
unter brutaler Verfolgung und Ausgrenzung litt, verdeutlicht uns deren existenzielle und heilsame Bedeutung für den Lebenssinn des Einzelnen und deren gemeinschaftsstiftende Wirkung für das Kollektiv.
In der Lernpsychologie begegnet uns dieses Menschenbild in den Forschungsergebnissen Robert Rosenthals, der als unbedingte Parameter einer gelingenden Beziehung zwischen Lehrer und Schüler oder Mitarbeiter und Vorgesetzten „Wärme, Aufmerksamkeit, Gelegenheiten zur Leistungsdemonstration und wohlwollendes Feedback“ nennt. Der sogenannte Pygmalion-Effekt bestätigt, dass unsere vorweggenommenen Einschätzungen einen direkten Einfluss auf die Ergebnisse unseres Handelns und Arbeitens haben. Suggeriert man Führungskräften, dass bestimmte Personen ganz besonders leistungsstark oder begabt seien, führt dies durch unbewusste Einflussnahmen tatsächlich zu einer messbaren Leistungssteigerung. Folglich scheinen Glaube, Hoffnung und Liebe doch dazu in der Lage zu sein, Berge zu versetzen, und eine Prise „Spirit im Business“ von unschätzbarem Wert.
Mit Hoffnung im Gepäck wird unsere Lebensführung flexibler, aktiver, aber vor allem auch toleranter. Sie selbst entscheiden, woran Sie glauben und es ist einfacher an ein „Ich kann, ich will und ich werde“ zu glauben als an ein „Ich kann nicht“. Es gibt etwas, das nur wir tun können, damit die Gesetzte der Ganzheitlichkeit und der Schöpfung in uns wirken können, und das ist die Arbeit an unserer inneren Haltung.
Die Sinne öffnen
Die Natur kann niemals durch eine negative Haltung und auch nicht durch Selbstmitleid in uns wirken. Wenn es Ihnen an Lebensmut mangelt, dann gehen Sie hinaus in die Natur. Nicht nur einmal, sondern immer wieder! Gehen Sie in den Wald, über Wiesen und Felder! Wenn Sie Ihre Sinne öffnen, werden Sie von der Hoffnung, die Ihnen dort begegnet, geradezu überrannt. Der kleinste Grashalm, der knorrigste Baum, die zarteste Blüte streben in Hoffnung, Geduld und Bescheidenheit stets in Richtung Himmel.
Wenn unser naturwissenschaftlicher, technokratischer Zeitgeist das menschliche Leben als ein reines Zufallsprodukt innerhalb eines scheinbar chaotischen Kosmos betrachtet, wundert es mich nicht, dass sich viele Menschen ohnmächtig und orientierungslos fühlen, wenn ihnen Stress und Schicksalsschläge begegnen. Ein sinnloses Leben auf einer zufälligen Welt und in einem planlosen Universum ist der Freibrief für eine egoistische und ressourcenfressende Gesellschaft, in der Konsum und Verschwendung zum Opium einer transzendentalen Obdachlosigkeit geworden ist. Wir erkennen also, dass die Frage nach dem „Woher“ dem „Wohin“ immer vorauseilen sollte.
Egal, wofür Sie sich entscheiden, tun Sie es mit ganzem Herzen – tun Sie es mit Liebe. Dann ist das, was Sie tun, der erste Schritt zu etwas viel Größerem, zu etwas ganz „Wesen-tlichem“. Thomas Lambert Schöberl ist Heilpraktiker mit eigener Praxis in München, Experte für Naturheilkunde sowie Musikund Kunstlehrer. In seinen Seminaren und Workshops bilden die Themen Natur, Kreativität und Ganzheitlichkeit den Schwerpunkt.
Thomas Lambert Schöberl:
Grüne Seelen.
Über die Weisheit der Natur.
Mankau Verlag, 2021. ISBN 978-3-86374-598-1.
Euro 18,95 (D) | Euro 19,50 (A). Auch als Hörbuch erhältlich.
Thomas Lambert Schöberl