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Ihrem spirituellen Ursprung nach gehören alle Menschen wie eine große Familie zusammen. Im täglichen Leben kommt dies aber kaum zum Ausdruck.

Was können wir selbst dazu beitragen, um in Frieden und  Harmonie miteinander zu leben und diese grundlegende Einheit wiederherzustellen?

Die spirituelle Einheit der Menschen – was ist mit diesem Begriff gemeint? Er bedeutet, dass wir in einer Atmosphäre der Nähe und des Vertrauens miteinander leben, in Liebe, Harmonie und Frieden. Oder anders ausgedrückt: Er bedeutet, dass wir unsere Beziehungen zu anderen auf das Prinzip der spirituellen Einheit aller Menschen gründen. Von ihrem Ursprung her bilden alle Menschen eine Einheit, denn wir alle gehören  dem Einen Gott an und sind Brüder und Schwestern in der Vaterschaft Gottes. Wir haben so viele Eigenschaften gemeinsam: Wir sehen uns alle ähnlich, haben ähnliche Lebensziele und reagieren auf ähnliche Weise auf ein und denselben Anlass. Wenn wir zum Beispiel verletzt sind, spüren wir alle Schmerzen, oder wenn uns etwas Schönes begegnet, freuen wir uns alle auf ähnliche Art. Diese Einheit liegt also dem Leben aller Menschen zugrunde.

Die tägliche Realität

In unserem Verhalten kommt diese Einheit allerdings nicht zum Ausdruck. Stattdessen herrschen immer noch Hass und Gewalt, Misstrauen und Täuschung. Ständig werden irgendwelche Kriege angezettelt und bedrohen unseren Frieden und unsere Existenz. Ständig sammeln und horten wir Dinge, während andere Menschen Hungers sterben. Unsere Hunde, Katzen und sonstigen Haustiere haben das schönste Leben, während Menschen in unserer nächsten Umgebung großen Mangel leiden und schwer ums Überleben kämpfen müssen. Angesichts dieser schrecklichen Verhältnisse scheint es weder Liebe noch Verständnis und erst recht keine Einheit zu geben. Und dennoch beschwören wir weiter die grundlegende Verbundenheit der Menschen, ohne dass dies irgendeine Wirkung auf unser Verhalten hätte.

Wie können wir zu dieser Einheit, zu dieser menschlichen Verbundenheit zurückfinden? Manchmal meinen wir, führende Persönlichkeiten der einzelnen Religionen könnten dabei doch eine zentrale Rolle spielen. Aber wenn wir uns ansehen, wieviel Hass, Gewalt und Blutvergießen es im Namen der Religion gegeben hat und immer noch gibt, müssen wir uns von dieser Hoffnung verabschieden. Die Politik hat gleichermaßen versagt. Wir müssen daher im Kleinen beginnen, bei uns selbst, und diese Verbundenheit von der Wurzel her aufbauen.

Schritte von der Theorie zur Praxis

Was können wir also persönlich tun, um dieser Einheit in unserem eigenen Verhalten Ausdruck zu verleihen? Wir wissen zwar, dass wir alle Geschwister sind und dass Gott unser Vater ist, aber es reicht nicht aus, uns dies jeden Tag vorzubeten, und zwar weil wir dieses Prinzip nur auf Verstandesebene bejahen, aber nicht in unserer innersten Seele erfasst haben. Der Verstand ist aber wankelmütig und vergesslich, wenn es um angelesenes Wissen geht. Solange uns noch die fünf menschlichen Leidenschaften – Bindung, Lust, Ärger, Gier und Ichsucht – beherrschen, werden wir dieses Wissen immer wieder vergessen und uns genau  entgegengesetzt verhalten.

Intellektuelle Kenntnisse aus zweiter Hand genügen nicht, um unser Herz dauerhaft zu verwandeln. Dazu braucht es das direkte Erfahrungswissen der Seele. Um in Liebe, Harmonie und Frieden zusammenzuleben, müssen wir also meditieren und erfahren, dass Gott in allen Menschen wohnt.

Meditieren

Gebetsmühlenartig wiederholen wir ständig, dass Gott unser Vater ist, dass wir Brüder und Schwestern sind, ohne wirklich davon überzeugt zu sein. Da wir keine Offenbarungen von Gott haben, wissen wir auch nicht, dass wir ein Teil Gottes sind – wie können wir dann davon überzeugt sein? Die Einheit der Menschen beginnt ganz unten, bei jedem Einzelnen. Erst wenn jeder diese innere  Erfahrung macht, ist er davon überzeugt. Der erste notwendige Schritt zur Einheit der Menschheit ist darum die Meditation.

Sein Schicksal akzeptieren

Der zweite Schritt besteht darin, dass wir das Gesetz des Karma akzeptieren und unser Schicksal auf uns nehmen. Neid und negative  Gefühle für andere kommen meistens deshalb auf, weil wir meinen, dass es ihnen gut geht und uns nicht. Manchmal gehen wir so weit und meinen, Gott sei ungerecht und grausam. Jedes Leid oder Unglück, das uns zustößt, geht aber auf unser eigenes Karma zurück und nicht auf das Konto einer  anderen Person. Deshalb sollten wir unser Schicksal grundsätzlich bejahen.

Keine Vergeltung üben

Der dritte Schritt zur Einheit der Menschen besteht darin, dass wir „uns dem Übel nicht widersetzen“. Wenn jemand uns weh tut oder sich uns gegenüber schlecht benimmt,  sollten wir es ihm nicht mit gleicher  Münze heimzahlen. Denn der Grund für sein Verhalten liegt ja womöglich in unserem eigenen Karma – dann ist es aber geradezu seine Pflicht, so zu handeln, und kein Fehler. Was immer er tut, ist demnach gut, denn er gleicht damit auch sein eigenes früheres Karma aus. Wenn wir versuchen, uns an ihm zu rächen, kann es außerdem sein, dass wir über das karmisch notwendige Maß hinausgehen und uns damit neues Karma schaffen.

Wir können ohnehin nicht beurteilen, ob das, was ein anderer tut, richtig oder falsch ist. Und wenn wir dennoch über andere Menschen richten, werden wir selbst gerichtet. Dabei stellt sich vielleicht heraus, dass wir uns geirrt haben, und diesen Fehler müssen wir dann büßen. Wenn wir aber davon absehen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, vermeiden wir nicht nur, andere zu richten, sondern auch das Risiko, uns neues Karma aufzuladen.

Anderen selbstlos dienen

Der vierte Schritt zur Verbundenheit ist die selbstlose Hilfe für andere, ohne dafür Dank oder Anerkennung von den Menschen zu erwarten. Das meint Jesus Christus, als er seine Jünger dazu auffordert, „Schätze im Himmel zu sammeln“. Wenn wir uns für unsere guten Taten irgendeinen Lohn erhoffen und dieser Lohn ausbleibt, sind wir sonst enttäuscht und fühlen uns nicht mehr in Liebe mit anderen verbunden. Menschen in Not zu helfen, lässt in uns dagegen Liebe zu unseren Mitmenschen und zu Gott entstehen. Mein Meister Sant Kirpal Singh war in diesem Punkt sehr strikt und sagte immer: „Nutzt jede Gelegenheit, um anderen selbstlos zu dienen.“ Er selbst nahm es damit sehr genau und legte von seinen Einkünften zuerst den zehnten Teil als Spende beiseite, um dann mit dem Rest seine eigenen Bedürfnisse zu bestreiten.

Macht es euch also zur Gewohnheit, bei jeder sich bietenden Gelegenheit anderen selbstlos, ohne Erwartungen, zu helfen, weil jeder Schritt, den ihr in diese Richtung tut, ein Schritt zur Einheit der Menschheit ist.

Menschliche Laster ablegen

Als fünftes sollten wir uns von den fünf menschlichen Lastern – Bindung, Lust, Gier, Ärger und Ichsucht – befreien. Denn jedes einzelne davon kann uns vom Weg zur Einheit der Menschen abbringen.

Nicht schlecht von anderen denken

Der sechste Schritt zur Einheit der Menschen lautet, dass wir nicht schlecht über andere denken sollten, denn auch wenn wir  unsere Gedanken für uns behalten können, widerspiegeln sie sich doch in unseren Handlungen und lösen bei anderen die entsprechenden Gegenreaktionen aus. Wenn ihr also schlecht über andere denkt, müsst ihr damit rechnen, dass diese Gedanken auf euch selbst zurückfallen.

Ehrlich sein Geld verdienen

Der siebte Schritt zur Einheit der Menschen ist, seinen Lebensunterhalt mit seiner eigenen Hände Arbeit zu verdienen und nach nichts zu verlangen, was uns nicht gehört. Natürlich sind wir alle nur Menschen, und es kann trotzdem sein, dass wir im Herzen gewisse Begehrlichkeiten hegen. Wenn solche Gedanken in euch aufkommen, solltet ihr sie Gott zu Füßen legen und nicht auf eure Mitmenschen projizieren.

Sich vor dem Ego hüten

Der achte Schritt ist der, dass wir uns vor unserem Ego in Acht nehmen sollten. Denn es macht alle guten Gedankenregungen in uns zunichte und führt uns auf Abwege.

Gott in allen Menschen sehen

Als neunten Punkt sollten wir Gott in allen Menschen sehen. Wenn ihr erst einmal erkennt, dass Gott in jedem Menschen wohnt, seid ihr nicht mehr imstande, irgendjemanden schlecht zu behandeln. Diese  Erkenntnis, die in der Meditation offenbart wird, verändert unser Verhalten von Grund auf.

Gottes Wille tun

Als zehnte und letzte Leitlinie möchte ich euch ans Herz legen, Gottes Willen zu erfüllen. Denn als Schöpfer und Stifter der Menschheitsfamilie wünscht er, dass wir in Frieden und Harmonie zusammenleben. Der beste Beitrag, den wir selbst zu dieser Aufgabe leisten können, besteht darin, dass wir nicht zögern, uns für die Einheit der Menschheit einzusetzen. Dazu müssen wir zunächst einmal meditieren, um die ursprüngliche Einheit der Menschen selbst in uns zu erfahren, und dann auch die übrigen Schritte befolgen, die ich gerade vorgestellt habe. Alles andere ist leeres Gerede und trägt keine Frucht.

Soami Divyanand

Soami Divyanand, 1932-2014, lehrte 40 Jahre lang den Yoga der Seele, den Weg des inneren Lichts und Klangs. Er hat zahlreiche Bücher verfasst und eine vollständige Vedenübersetzung erstellt. Darüber hinaus setzt er sich für die interreligiöse Verständigung ein.

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Foto(s): gettyimages

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