Neşmil Ghassemlou ist Therapeutin und Palliativ-Ärztin. Sie hat viel Erfahrung mit dem Sterben und darüber ein berührendes Buch geschrieben (Seelensang, VISIONEN 3.22).
Wie erleben Sterbende diese beiden großen religiösen Perspektiven?, fragt VISIONEN – und beginnt und beschließt Neşmil Ghassemlous Antworten mit zwei Geschichten aus Seelensang.
Der fünfjährige Sohn
Frau Escher verkroch sich tief in ihrem Bett, als ich in ihr Zimmer auf der Palliativstation eintrat. Sie zog die Bettdecke hoch, bis nur noch ihr Kopf mit Stirn und Nasenspitze sichtbar war. Sie war 40 Jahre alt, eine blasse, spindeldünne Frau mit großen Augen. Alles an ihr rief: „Bitte lass mich in Ruhe, ich kann nicht!"
Sie hatte einen fünfjährigen Sohn (und) Brustkrebs im Endstadium… Der Vater (hatte) bisher keinen Kontakt zu seinem Sohn. Frau Escher verweigerte jedes Gespräch über ihre Krankheit, hatte auch nicht mit ihrem Sohn darüber gesprochen.
fs