Magazin Visionen - Einfach. Besser. Leben.

Es ist Beltane, ein Fest der Liebe und der Fülle und Beginn der Hoch-Zeit, die mit der Sommersonnenwende ihre Vollendung findet: Mutter Erde hat ihr schönstes Blütenkleid angelegt und ist bereit, die Liebesstrahlen von Vater Sonne zu empfangen.

Die Natur feiert die Jahresfeste unserer AhnInnen in ungebrochener zyklischer Wiederkehr – es ist an uns, uns wieder einzuschwingen.

Wir feiern Beltane in diesem Jahr mit dem Ritual der Schwitzhütte, welches das kosmische Liebesspiel widerspiegelt. Wir erfahren zutiefst, dass wir nicht losgelöst davon existieren, sondern Teil sind: Die Schwitzhütte steht für die Gebärmutter von Mutter Erde; das Feuer für Vater Sonne. Heute kriecht mein Liebster mit einer Gruppe von Menschen in den Schoß von Mutter Erde. Sie empfangen dort, Eizellen gleich, den Samen von Vater Sonne: Die rotglühenden Steine aus dem Feuer, welches ich an diesem Tag hüte. Als die Gruppe der Menschen nach vier Runden der Lieder und Gebete neu geboren unter dem Sternenzelt liegt, sind noch Steine im Feuer übrig. Ich fühle den Ruf, dass diese Steine noch  hineinmüssen und ich mit ihnen.

„Handle und liebe!“

Wenig später sitze ich alleine im Bauch der Erdmutter, nehme die Steine mit Räucherwerk in Empfang, frage, was das Thema dieser Runde in der Hütte ist. Eine vertraute Stimme raunt: Es ist die Runde für die Erde. Ein Lied kommt angeflogen und findet seinen Weg. Nach dem Singen lausche ich in die Stille. Draußen knackt das Holz im Feuer, ein Waldkauz schickt seinen Ruf in die Nacht. Im Rauschen des Windes, im Zischen des Wassers, das ich auf die heißen Steine gieße, spricht die ganze lebendige Mitwelt zu mir: „Es ist ein Privileg und eine Verantwortung, genau jetzt genau hier lebendig in diesem Körper zu sein und in sinnlicher Fühlung mit Allem, das ist. Es ist eine Zeit, handelnd in die Welt zu treten
und nicht länger im warmen Schoß zu verweilen. Du bist Kind dieser Erde und liebende Partnerin. Du bist nicht getrennt und warst es nie, sondern du bist ein Teil von ihr – eine winzig kleine Zelle in diesem großen Erdorganismus. Wenn auch nur eine Zelle krankt, leidet der ganze Erdorganismus. Und wenn die Erde leidet, leidet jede einzelne Zelle. Geh hinaus – heilend, liebend – deiner Eigenmacht und Selbstwirksamkeit voll bewusst, zum Wohle aller Wesen. Nimm dich ernst, doch nicht wichtig. Gehe hinaus, handle und liebe!“ Also krieche ich hinaus, finde mich im Kreis der menschlichen Geschwister am Feuer und fühle mich zutiefst verbunden mit Allem, das ist.

Am nächsten Tag bekomme ich den Auftrag, zum Thema „Geliebte Erde“ zu schreiben. Lächelnd sende ich meinen Gruß an Gaia.

Verbundenheit fühlen

In der liebenden Verbundenheit mit der Erde sehe ich den Schlüssel zur Heilung – für die Erde und für alle ihre Wesen, auch für uns Menschen. Viele Krankheiten unserer Zeit sind ein Ausdruck unserer (vermeintlichen) Abspaltung von der Natur. Und viele Probleme, die wir als Kollektiv generiert haben, sind eine Folge davon. Lange Zeit sind wir als Menschheit nur um unseren eigenen Nabel gekreist und haben dabei vergessen, dass eben dieser Nabel auch unsere Urverbindung zur Mutter darstellt – auch die Urwunde unseres Getrenntseins von der mütterlichen Kraft und Liebe der Erde. Wir stehen als Kollektiv nun wahrlich an einer Schwelle nie gekannten Ausmaßes. Scheinbar sind wir hinaus gefallen aus der göttlichen Ordnung und unterliegen pubertären Allmachtsfantasien. Mehr denn je sind wir nun herausgefordert, uns zu entscheiden: Wollen wir uns weiterhin betäuben oder sind wir bereit, erwachsen zu werden und uns liebend in den Dienst des Lebens zu stellen? Können wir unsere anthropozentrische Nabelschau beenden und das Leben selbst in den Mittelpunkt stellen?

Es ist nicht leicht, diese Fragen zu stellen, ohne dabei moralisch zu erscheinen. Der erhobene Zeigefinger hat uns bislang jedoch nicht weitergebracht, er kann gar nicht die Liebe in uns entfachen, die uns die Erde hüten lässt. Es ist auch nicht leicht, diese Fragen zu stellen, ohne uns Menschen abzuwerten oder uns gar unseres Menschseins zu schämen. Wir brauchen nun die Erfahrung von Verbundenheit und sehr viel Selbst-Mitgefühl. Es ist an der Zeit, den Schmerz zu fühlen, der nicht losgelöst von unserem Schmerz um die bzw. mit der Erde ist. Wenn wir fühlend anwesend sind, werden wir mit den gequälten Tieren fühlen, wir werden die Rodung der Regenwälder erleben, die Auswirkungen der Verschmutzung der Meere, der Mobilfunkstrahlung und Vergiftung unserer Böden. Wir werden tiefe Ohnmacht und Verzweiflung fühlen. Doch wenn wir in all dem anwesend bleiben und diesen Schmerz nicht betäuben, wenn wir all dies in menschlicher Gemeinschaft teilen und uns unserer Ko-Existenz mit allem, das ist, bewusst sind, werden wir entdecken, dass dieser Schmerz ein Ausdruck von Liebe ist.

Dies stellt uns als lebendige fühlende Wesen wieder in den Kontext unserer Einheit mit der Erde. Es lässt uns wieder staunen und mit geklärtem Blick den göttlichen Plan in Allem, das ist, erblicken. Auch die Freude und die Fülle des Da-Seins werden nun tiefer empfunden und laden dazu ein, das Leben zu feiern.

Erdfeste feiern

Eine in unserer Zeit wenig erschlossene Ressource, die uns freudvolle Verbundenheit schenkt, wurde 2018 von der Nachhaltigkeitsforscherin  Hildegard Kurt und dem Biologen und Philosophen Andreas Weber wieder belebt: „Das gemeinsame Feiern unseres Seins als Teil der  ebendigen Erde“ (Pressemitteilung 2024 der Erdfest-Initiative). Das Feiern von Erdfesten im Rahmen dieser Initiative verleiht der Gemeinschaft der AkteurInnen nicht nur eine – politisch wirksame – gemeinsame Sichtbarkeit, sondern knüpft auch an das indigene Wissen und Fühlen unserer AhnInnen. Dolores La Chapelle: „Indem wir uns der Erde als Grundlage unserer Feste wieder zuwenden, schließen wir, wo immer wir leben, alle Erscheinungen des Seins mit ein. Die natürliche Welt wird inniger Teil unserer Gemeinschaft.“ Und wir werden wieder inniger Teil der natürlichen Welt.

Rund um die Sommersonnwende laden auch in diesem Jahr wieder um die 400 Erdfest-AkteurInnen dazu ein, unsere Verbundenheit mit der Erde zu feiern. Eine Kultur, die sich im Einklang mit der Natur bewegt, ist zutiefst heilsam – für Mensch und Erde.

Die Autorin:
Andrea Wichterich wirkt als Heilpraktikerin und Yogalehrerin im Bergischen Land. Gemeinsam mit Reiner Angermeier bietet sie Kräuterwanderungen, Schwitzhütten und Waldyoga-Seminare an. Seit 2019 lädt sie als Akteurin zum Erdfest ein, in diesem Jahr am 22.06.

www.gaiaveda.de & www.wald-yoga.net
www.erdfest.org

Andrea Wichterich

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Foto(s): © Reiner Angermeier und Adrea Wichterich

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