Die Seele wird leichter und glücklicher, je mehr sie von ihren karmischen Belastungen befreit wird. Denn unsere persönliche Vergangenheit beeinflusst immer unsere Gegenwart und Zukunft.
Bei all unserem Planen und Handeln gehen wir in der Regel davon aus, dass unsere Bemühungen die erhofften Früchte tragen werden. Manchmal erhalten wir sie, manchmal aber nicht. Wenn das Ergebnis unseren aufrichtigen und geschickten Bemühungen nicht entspricht, schreiben wir das Versagen einer „höheren Macht“ zu. „Gott hat es so gewollt“ oder „Es war Gottes Wille“ sagen wir dann. Aber warum sollte Gott uns einen Strich durch die Rechnung machen? Nach welchem Prinzip wirkt der göttliche Wille in unserem Leben?
Konsequenz oder Zufall?
Oft machen wir den Denkfehler, unser gegenwärtiges Leben und Handeln isoliert von allem Vorangegangenen zu betrachten. Aber das was wir hier und heute denken, tun und erleben, steht immer in einem Zusammenhang mit allem, was wir früher getan haben. Unsere persönliche Vergangenheit – ob in diesem aktuellen Leben oder in früheren Leben – beeinflusst immer unsere Gegenwart und Zukunft. Aber wie sich unser vergangenes Handeln konkret im gegenwärtigen Leben auswirkt, ist kaum zu durchschauen. Wenn wir z. B. einem Obdachlosen begegnen, ihm Geld geben und anschließend bei einem Unfall auf der Straße verletzt werden, bedeutet dies keineswegs, dass es nicht gut ist, Obdachlosen zu helfen. Wenn wir etwas Gutes tun und daran anschließend etwas Leidvolles erfahren müssen, ist dieses unerfreuliche Ergebnis nicht die Folge unserer guten Tat, sondern die Rückwirkung einer anderen, früheren Handlung, die Gott aber mit dieser gegenwärtigen Handlung verknüpft hat.
Angenommen, wir besuchen einen Vortrag über Spiritualität und es setzt sich jemand zu uns, um ebenfalls zuzuhören. Wenn nun plötzlich die Polizei kommt, ihn verhaftet und ins Gefängnis steckt, so geschieht dies nicht, weil er diesen Vortrag gehört und an Gott gedacht hat, sondern weil er in einem früheren Leben etwas begangen hat, wofür er damals nicht bestraft werden konnte. Die Tatsache, dass er hier verhaftet wurde, während er mit uns den Vortrag hörte, ist nur ein zeitliches Zusammentreffen. Wenn ein Mensch, der aus Liebe zu Gott und dem Nächsten sehr viel Gutes tut, viele schwere Schicksalsschläge erleidet, meinen wir mitunter: „Gott ist nicht gerecht! Dieser Mensch tut so viel Gutes, er meditiert jeden Tag, und trotzdem hat er es so schwer!“ Doch wir sollten wissen, dass dies nicht daherkommt, weil er so gottesfürchtig ist, sondern mit früheren Handlungen zusammenhängt.
Für beides dankbar sein
Genau genommen sind die Geschehnisse gar nicht Gottes Wille, wie wir meinen, sondern das Ergebnis unserer eigenen Handlungen, die wir in einem früheren Leben begangen haben. Dennoch sagen wir: „Das war Gottes Wille“, weil wir diese Rückwirkungen nicht als solche erkennen und nur Gott um sie weiß, so dass wir annehmen müssen, sie kämen von ihm. Gottes Wille ist also keine „Strafe“, sondern das Ergebnis unserer eigenen früheren Taten, die auf diese Weise ausgeglichen und abgegolten werden.
Auch wenn es unangenehm bis schmerzhaft ist, letztlich ist es gut für uns, wenn unser karmischer „Schuldenberg“ abgetragen wird. Die Seele wird leichter und glücklicher, je mehr sie von ihren karmischen Belastungen befreit wird. Deshalb sollten wir solche Rückwirkungen eigentlich freudig akzeptieren. Doch selbst wenn wir dies nicht tun, bleibt uns am Ende gar nichts anderes übrig, als sie hinzunehmen. Denn: Was wir in der Vergangenheit gesät haben, das müssen wir auch ernten. Wir können aber entscheiden, ob wir dies freudig oder grollend tun. Im ersten Fall bleiben wir glücklich und stärken unseren Glauben an Gott, andernfalls sind wir erst recht unglücklich und zweifeln an Gott. Es ist also grundsätzlich klüger, seinen Willen freudig anzunehmen, egal was er uns schickt, ob Glück oder Leid. Wenn er uns Schwierigkeiten schickt, sollten wir dankbar sein, weil er gerade ein paar von unseren schlechten Handlungen abwickelt. Und wenn uns Gutes widerfährt, sollten wir ebenfalls dankbar sein, weil wir es erleben dürfen. Wenn wir auf diese Weise im Willen Gottes bleiben, können wir glücklich in der Welt leben, weil wir nicht mit Gott und seiner Gerechtigkeit hadern.
Die Sache logisch betrachten
Wie aber können wir erkennen, ob etwas auf den Willen Gottes zurückzuführen ist oder uns selbst zuzuschreiben ist? Wenn wir unser Bestes gegeben aben und trotzdem alles schiefgeht, ist dies sein Wille, der für gerechten Ausgleich sorgt. Wenn wir recht gehandelt haben, wird sich normalerweise auch das entsprechende Ergebnis einstellen. Ist dies nicht der Fall, dann deshalb, weil unsere gute Handlung mit dem Ergebnis einer schlechten Tat gekoppelt wurde.
Angenommen, man hat sich einen Becher süßen Kakao zubereitet und beim Trinken stellt man fest, dass er plötzlich salzig schmeckt. Dann wird man ermuten: „Irgendjemand hat mir Salz hineingeschüttet.“ Es ist ja ausgeschlossen, dass der Zucker im Kakao sich einfach in Salz verwandelt. Trotzdem glauben wir, dass eine gute Handlung schlechte Folgen haben kann. Wir kommen nicht auf die Idee, dass irgendeine negative Reaktion dieser guten Tat nur hinzu „gefügt“ wurde, so dass es nun vordergründig so aussieht, als hingen sie ursächlich zusammen. Aber so wenig wie es möglich ist, dass Zucker sich in Salz verwandelt, so wenig kann eine gute Handlung schlechte Folgen haben.
Wenn wir also richtig handeln und uns trotzdem Schlimmes widerfährt, sollten wir begreifen, dass das eine nur dem anderen beigegeben wurde. Dann sollten wir natürlich auch nicht unglücklich sein, denn mit der einen guten Tat wurde gleichzeitig eine andere Handlung zum Abschluss gebracht. Es heißt: „Der Mensch denkt, und Gott lenkt.“ Es liegt nicht in unseren Händen, ob unsere guten Taten auch immer das entsprechende Ergebnis nach sich ziehen. Damit ist aber nicht gesagt, dass gute Handlungen nicht auch gute Rückwirkungen zeitigen, sondern nur, dass diese gute Tat mit dem Ergebnis einer anderen, früheren Tat verbunden wurde. Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass Gleiches nur mit Gleichem vergolten wird: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“
Nicht fatalistisch werden
In diesem Zusammenhang wird oft die Frage gestellt: „Wenn alles aufgrund unserer früheren Handlungen vorherbestimmt ist, wozu sollten wir uns dann überhaupt noch bemühen, Gutes zu tun? Wozu sich dann noch anstrengen?“ Unser Schicksal ist insofern vorherbestimmt, als wir die Folgen unserer früheren Handlungen tragen müssen. Es ist aber nur insoweit festgelegt, wie diese Auswirkungen reichen. In unseren gegenwärtigen Entscheidungen und Handlungen sind wir frei. Deshalb liegt es durchaus in unserer Macht, die Folgen unserer vergangenen Taten sogar abzuwandeln. Wie das geht, lässt sich an einem einfachen Beispiel veranschaulichen. Angenommen, man hat ein Gefäß mit einem Liter Wasser und in dieses Wasser schüttet man 50 Gramm Salz. Wenn man nun davon probiert, wird man feststellen, dass es bis zu einem gewissen Grade salzig schmeckt. Es ist nicht möglich, das Salz ohne weiteres wieder aus dem Wasser zu entfernen; das heißt in unserem Zusammenhang, wir können das Ergebnis unserer Handlung nicht rückgängig machen. Und dennoch können wir etwas daran ändern.
Zwar können wir den ursprünglichen Salzgehalt des Wassers nicht verändern, wohl aber seine Genießbarkeit. Die Ausgangssituation war in allen drei ällen dieselbe, und dennoch war das Endergebnis jeweils völlig anders: Man kann das Salzwasser verdünnen – dann lässt es sich vielleicht sogar ganz gut trinken. Und wenn man dann noch Zucker und Zitrone beifügt, schmeckt es noch angenehmer. Oder aber man versalzt es noch mehr, so dass man es am liebsten gar nicht mehr trinken mag. Auf diese Weise können wir durch unser gegenwärtiges Verhalten das tatsächliche Endergebnis unserer früheren Handlungen beeinflussen, ohne an der Rückwirkung selbst etwas zu ändern.
Deshalb sollten wir nicht einfach die Hände in den Schoss legen und sagen: „Alles liegt in Gottes Hand. Wir können ohnehin nichts dagegen tun; warum also überhaupt etwas unternehmen?“ Denn was immer wir heute tun (und versäumen), wirkt sich auch auf das Ergebnis unserer vergangenen Handlungen aus, selbst wenn die jeweiligen Rückwirkungen damit nicht direkt zu ändern sind. Wir sollten also auch dann, wenn wir uns in Gottes Willen fügen, nicht einfach passiv bleiben. Manchmal reden wir uns ein, dass wir in Gottes Willen stehen, weil wir nichts unternehmen wollen. Doch sagt der Volksmund: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“ und „Den Tapferen hilft das Glück.“ Wir sollten die anstehenden Dinge aktiv angehen und uns nach Kräften bemühen, das Richtige zu tun, und uns dann zufriedengeben, was auch immer sich daraus ergibt.
Zum Glücklich-Sein entscheiden
Nun versteht man, warum es für unser Lebensglück so wichtig ist, Gottes Willen zu akzeptieren. Wenn wir ihn annehmen, können wir in Frieden und armonie leben mit dem, was ist. Wenn wir ihm grollen, weil er uns Schwierigkeiten schickt, wird er sich ohnehin nicht davon beeinflussen lassen nd seinen Entschluss ändern! Wenn wir in Gottes Willen bleiben, ergibt sich daraus ein weiterer Vorteil. Eine solche Haltung stärkt unsere Liebe und unser Vertrauen zu Gott. Und wenn wir Liebe zu ihm empfinden, werden wir auch seine Schöpfung und die ganze Menschheit lieben: Ohne Gottesliebe keine Nächstenliebe. Die Liebe zu unseren Mitmenschen schafft um uns herum eine Atmosphäre der Liebe und macht unser Leben glücklicher. Ergebung in Gottes Willen ist also die Quelle allumfassender Liebe.
Soami Divyanand (1932 – 2014),
Meister des Surat-Shabd-Yoga, lehrte mehr als 35 Jahre lang den spirituellen Pfad des inneren Lichtes und Klangs. Veden-Übersetzer und Autor zahlreicher Bücher.