Magazin Visionen - Einfach. Besser. Leben.

Welche Art von Bildung brauchen wir? Lernen wir aus Angst oder aus Neugier und Begeisterung? Ein Pädagoge und Forscher auf dem Inneren Weg beleuchtet das Bildungssystem und skizziert die Vision einer erfüllenden Menschen- und Herzensbildung.

Die westlichen Gesellschaften rutschen in eine Bildungskatastrophe. Denn sie erkennen nicht, was ein Mensch im Leben eigentlich lernen soll und wem seine Bildung in Wahrheit zu dienen hat. Dabei haben sie viel Geld in ihre Schulen gesteckt, und die Lehrer unterrichten nach den neuesten Methoden. Aber die Lehrer und Schulen haben Angst. Ihre Mühe, die Schüler zu bilden, entspringt der Angst, ihre Schüler könnten ohne Bildung untergehen in den Kämpfen um Job, Dach und Brot. Es geht also um Überlebensangst, eine Angst, die uns blind macht für wahres Wissen.

Lernen aus Angst

So wird auch die Forderung nach lebenslangem Lernen von der Angst gespeist, unter den ökonomischen Bedingungen des Weltmarkts sonst nicht überleben zu können. Kinder,   Jugendliche, Studenten, wir alle lernen beflissen, weil wir befürchten, angesichts des Konkurrenzdrucks auf der Strecke zu bleiben.

Die gravierendste Folge der Angst ist eine tiefe Selbstvergessenheit, der Verlust von Sinn und Ausrichtung. Verloren gehen Freude, Menschenwürde, Mitgefühl und Erkenntnis - kraft. Ein Mensch, der der Angst dient, hat viel Unbrauchbares im Kopf, ein leeres Herz und wenig Kraft für wesentliche Handlungen.

Schauen wir also genauer hin: Welche Rolle spielen

„Lernen“ und „Bildung“ für den angstmotivierten Geist? Eine seiner unausgesprochenen, weil überwiegend unbe - wussten Annahmen, lautet: Eigentlich ist der Mensch von Geburt an dumm und leer und muss deshalb von Lehrern und Erziehern gefüllt und belehrt werden. Er traut einem Kind nicht zu, dass Lernen und Bildung aus ihm selbst heraus, aus eigener Motivation geschehen könnte und dass sein Potential eventuell nur geweckt werden will.

Lernen aus Begeisterung

Im Film „Alphabet – Angst oder Liebe“ von Erwin Wagenhofer und in dem Buch „... und ich war nie in der Schule“ berichtet der Musiker und Gitarrenbauer André Stern über eine ungewöhnliche Kindheit und Jugend: Er ist nie zur Schule gegangen. Er wurde auch nicht von Hauslehrern oder seinen Eltern unterrichtet. Er wurde überhaupt nicht belehrt. Er hat nie irgendeine Prüfung abgelegt. Statt - dessen haben seine Eltern ihm den Raum und die Freiheit gewährt, seinen eigenen Interessen und Impulsen zu folgen. Sein Bildungsweg liest sich spannend, inspirierend. Kaum irgendwo wird die Kraft kindlicher Neugier und Begeisterungsfähigkeit, die Dynamik und unbeirrte Ziel - gerichtetheit kindlichen, besser: menschlichen Forscherdrangs so überzeugend dargestellt.

Ein Kind lernt alles, was es will. Aus Neugier und Interesse, ohne Druck, ohne Angst, ohne permanente Belehrung - und das auch unter den ökonomischen Bedingungen unserer Zeit. Zweckfreies Lernen wird dann zur Freude und bildet die Grundlage dafür, die Lernaufgaben eines Erwachsenen zu meistern. Alles, was es braucht, ist Frei - raum und Vertrauen.

Die Ein-Bildung in Gott

Dabei ist die Bildung mit dem „ersten Bildungsweg“ der Weltaneignung und dem zweiten des Erwachsenwerdens noch nicht einmal abgeschlossen. Denn so sehr ihm äußerlich das Leben gelingen mag, wird auch der gereifte Erwachsene immer noch eine Unzufriedenheit, einen Mangel und eine Sehnsucht in sich spüren. Er leidet. „Wer bin Ich?“, fragt er sich, „Wo komme ich her? Wo gehe ich hin?“ Dies ist sein Schrei nach Gott. Und der Mensch wird     - melt hat. Denn er hat nur gelernt, die Welt und auch sich selbst mit Begriffen zu beschreiben. Er hat gelernt, sich von allem ein Bild zu machen – auch von sich selbst. Das nennt er nun „Ich“. Sein denkender Geist ist angefüllt mit Bildern, mit Imitationen. Irgendwann dämmert ihm, dass da etwas nicht stimmt, dass das nicht die letzte Wahrheit sein kann, die ihm Frieden bringen kann.

Das ist die Stunde des „dritten Bildungswegs“. Auf diesem Weg lässt der Mensch alle erlernten Bilder einschließlich seines Selbstbildes wieder los, um zu sehen, was dann übrig bleibt. Aber wer will das schon? Wer sich dazu entschließt, wird seiner Angst in vielfältigen Formen der Abwehr begegnen. Sie wird sehr glaubhaft behaupten: „Wenn ich alles loslasse, bleibt nichts übrig!“ Gar nichts. Die großen geistlichen Lehrer, die Meister der religiösen und spirituellen Traditionen aber lehren allesamt etwas anderes: Es bleibt etwas übrig. Übrig bleiben Wahrheit und Liebe, übrig bleibt, wer du wirklich bist, übrig bleibt das SELBST

Und jetzt? Trauen wir diesen Lehrern? Folgen wir ihnen oder der Angst? Wagen wir das „Bildungsabenteuer“ des dritten Weges? Wenn wir das nötige Vertrauen auf diesem       Aufgabe von Kontrolle und Hingabe an das Unbekannte das geschehen, was der christliche Mystiker Meister Eckhart (1260-1328) die „Ent-bildung“ des Menschen und seine „Ein-bildung in Gott“ nannte.

Bildung wird in diesem mystischen Verständnis nicht als eine Leistung des Ichs, nicht als ein ichhaftes Tun, sondern als eine Formung des Göttlichen im Menschen verstanden, als eine Formung aus dem Innersten, aus der Seele des Menschen. Dies ist das uralte mystische Verständnis von Bildung als einem Schöpfungsakt Gottes, in dem Gott sich im Menschen sein eigenes Bild schafft“, so OM C. Parkin in einem Vortrag aus dem Jahr 2004.

So kann der Mensch der werden, der er sein soll; das Wort von der Ebenbildlichkeit Gottes wird zur lebendigen      Es ist letztlich diese Bildung, nach der die Seele eines jeden Menschen dürstet. Sie setzt voraus, dass die ersten beiden Stufen auf dem Bildungsweg durchlaufen wurden. Wenn wir ehrlich mit uns sind, dann werden wir feststellen, dass wir meist irgendwo im ersten Stadium, mit Glück im zweiten steckengeblieben sind. Wollen wir da stehen bleiben? Oder sind wir leidenschaftlich interessiert und wollen lernen? Bringen wir den Mut und das Vertrauen auf? Wenn ja, müssen wir in Betracht ziehen, dass unser alter Bildungsbegriff und unser gegenwärtiges Bildungssystem uns dabei nicht viel weiterhelfen können. Beide sind – wie wir gesehen haben – sehr begrenzt. Wir sind auf uns selbst gestellt, und wir müssen selbst die Lehrer für uns suchen. Sie sind rar, aber es gibt sie.

 Johannes Spath

Information & Inspiration
Konferenz „Welche Bildung braucht der Mensch?“
Wann: Fr. 13.- So., 15. September 2019
Wo: Stuttgart Marienheim
Info: www.kloster-saunstorf.de

Foto(s): gettyimages, OM C. Parkin, André Stern

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